1.
Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. an die UNESCO zur Aufnahme der Grimmschen
Märchen in das Register des Weltdokumentenerbes (Memory of the World),
2004
Antragstext der
Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. 2004 von der Website der UNESCO:
... englische Fassung
... französische Fassung
... Digitalisate der Handexemplare aus den ersten
beiden Auflagen 1812, 1815, 1819 (Universitätsbibliothek Kassel)
Der ursprüngliche Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. auf Registrierung von fünf Bänden der
Märchen-Handexemplare als Weltdokumentenerbe war auf der Website der
UNESCO in englischer und französischer Originalfassung zugänglich. Eine
deutsche, englische und französische Zusammenfassung des Antrags
veröffentlichte die Grimm-Gesellschaft 2006 in ihrem Jahrbuch (Bd.
11—12 [2001—2002, ersch. 2006]).
Nach einer Würdigung der Grimmschen Märchensammlung, Angaben zur
Antragstellerin, einer nochmaligen ausführlichen Würdigung der „Kinder-
und Hausmärchen“ und einer knappen Zusammenfassung der überlieferten
Quellen zur Entstehungsgeschichte der KHM wird im Unterabschnitt History
des ursprünglichen Antrags die Überlieferungsgeschichte der fünf Bände
referiert, die als Weltdokumentenerbe angemeldet wurden.
The Kassel Handexemplare (Annotated Reference
Copies) come from the personal estate of the Brothers Grimm; the
handwritten entries and notes refer, for the most part, to their great
Kassel Period (until 1829); some later entries were added during their
Göttingen (1830-1837/8) and Berlin (1841-1859/63) Periods.
After the Brüder Grimm-Gesellschaft e.V. (Brothers
Grimm Association), whose first member was Herman Grimm, son of Wilhelm
Grimm, was founded in 1897, the association acquired the Handexemplare
of the Grimms Brothers’ most important works (including the “German
Grammar” of 1819, et al.) for the Kassel Grimms collection.
Since 1959, the Kassel Handexemplare have been preserved in the Brüder
Grimm-Museum, Kassel.
(S. 4; Hervorhebung von der Redaktion Grimmnetz.de)
Im Punkt 4 des Antrags (Justification
for inclusion, assessment against criteria), Unterpunkt 4.1 (Authenticity)
werden diese Aussagen nochmals wiederholt:
The KHM were in the possession of the
Brothers Grimm themselves until 1859/1863; thereafter in the possession
of Hermann Grimm, eldest son of Wilhelm Grimm; from 1897 onward and
without interruption in the possession of the Brüder Grimm-Gesellschaft
e.V. Kassel(Association of the Brothers Grimm).
(S. 8, Hervorhebung Grimmnetz)
Aufbauend auf die zitierten Angaben zur
Überlieferungsgeschichte trifft der Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. im Punkt 5 (Legal information) folgende
Feststellungen:
5.1 Owner (name and contact details)
Association of the Brothers Grimm / Museum of the Brothers Grimm
Brüder Grimm-Gesellschaft e.V. / Brüder Grimm-Museum Kassel
...
5.3. Legal status
(a) Category of ownership
Public Foundation
(b) Accessibility
The Kassel Handexemplare (Annotated Reference Copies) are part of the
permanent exhibition within the Museum of the Brothers Grimm in Kassel,
located in the historic Palais Bellevue; they are, however, also
available to researchers and interested laypersons.
(c) Copyright status
The Association of the Brothers Grimm (Brüder
Grimm-Gesellschaft e.V.) holds all copyrights of the Kassel
Handexemplare (Annotated Reference Copies).
(d). Responsible administration
All technical aspects of conservation and security are guaranteed by
qualified employees at the Museum of the Brothers Grimm in Kassel.
The Kassel Handexemplare (Annotated Reference Copies)
have been part of the Kassel Grimms Collection since 1897 and are
preserved in the Museum of the Brothers Grimm in Kassel.
(S. 10, Hervorhebung Grimmnetz)
Noch eindeutiger heißt es im abschließenden
Punkt 7:
7. Consultation
(a) Owner
Brüder Grimm-Gesellschaft e.V.
Brüder Grimm-Platz 4A
34117 Kassel
Germany.
(b) Custodian
Dr. Bernhard Lauer
Der Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft e.
V. zur Registrierung der Märchen-Handexemplare als Weltdokumentenerbe
wurde 2005 von der UNESCO angenommen. Zweifellos verdienen diese
historischen Bücher eine solche Ehrung. Es konnte jedoch nicht
hingenommen werden, dass die Überlieferungsgeschichte der Exemplare und
ihr Eigentumsstatus durch die Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. entstellt
wurden und dass sich infolgedessen auf den Websites der UNESCO die
fälschliche Information befand, die Handexemplare seien Eigentum dieser
Gesellschaft. Vielmehr ist folgendes festzustellen:
- Die Märchen-Exemplare kamen 1932, nicht 1897
nach Kassel.
- Die Märchen-Exemplare wurden bis 1945 keiner
Grimm-Gesellschaft übergeben; 1932 bestand keine Grimm-Gesellschaft.
- Eigentümerin der Exemplare von der Übergabe
1932 bis nach dem Zweiten Weltkrieg war die Landesbibliothek Kassel;
dies entsprach einer Verfügung Herman Grimms.
- Ähnliches gilt für die im Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft genannten Handexemplare der „Deutschen Grammatik“.
Herman, Rudolf und Auguste Grimm schenkten sie der Landesbibliothek
Kassel 1885; bis 1945 waren sie zweifelsfrei in deren Eigentum.
Quellen, die diese Tatsachen belegen, waren
frei verfügbar und sind der Antragstellerin zum Teil nachweislich
bekannt gewesen. Die falschen Angaben im UNESCO-Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. laufen de facto auf eine Umwidmung
öffentlichen Eigentums in Eigentum eines eingetragenen Vereins hinaus.
1a. Richtlinien der UNESCO
... Richtlinien zum
Programm Memory of the World von Ray Edmondson (2002)
Die
Verfahrensweise bei Nominierungen für das UNESCO-Register des
Weltdokumentenerbes (Memory of the World) ist festgelegt in den „General
Guidelines to Safeguard Documentary Heritage. (Revised Version.)
Prepared for UNESCO by Ray Edmondson“ (2002).
Dort heißt es auf S. 44 f.:
5.1
and 5.2 Sometimes the custodian of the documentary heritage may not be
the same as the owner. It is essential to establish both before a
nomination can be added to the Register.
5.3 It is also essential to establish the full legal status of the
documentary heritage as follows:
(a) Category of ownership: for example, is it owned privately, or by a
public institution, or by a commercial corporation?
(b) Accessibility: are there factors which will limit public access to
the material? Refer to section 3.4 to identify these factors.
(c) Copyright status: is any or all of the documentary heritage subject
to copyright? Can the copyright owner(s) and their entitlements be
identified?
(d) Responsible administration: who is legally responsible for
safekeeping of the material, and how is that responsibility being
exercised?
(e) Other factors: are there other matters that should be noted? For
example, is any institution required by law to preserve the documentary
heritage in this nomination?
Offensichtlich
wurden diese Richtlinien während des Nominierungsverfahrens nicht
eingehalten. Es liegen genügend leicht zugängliche Anhaltspunkte dafür
vor, dass die im Antrag von 2004 enthaltenen Angaben nicht zutreffen
können. Es stellt sich die Frage, warum dies nicht bemerkt und warum
keine Maßnahmen zur rechtzeitigen Feststellung der tatsächlichen
Überlieferungs- und Rechtsverhältnisse getroffen wurden, zumal die
UNESCO sich grundätzlich dessen bewusst zu sein scheint, dass der
Erfolg ihres Programms von einem einheitlichen Umgang mit diesen
Richtlinien mit abhängt. Der im November 2005 veröffentlichte
Schlussbericht der 7. Sitzung des International Advisory Committee für
das Programm Memory of the World empfiehlt:
The
General Guidelines must be known, fully observed, and implemented and
all actions of the IAC, sub-committees, and staff must be fully
consistent with them. Changes in the Guidelines can occur only by due
process. Procedures set out in the Guidelines will be fully
implemented. Interpretations of the Guidelines will be collected in
preparation for subsequent revision of them and to clarify procedures
for new members.
Die zitierten Empfehlungen gehen zurück auf
ein Diskussionspapier: „Memory of the World Programme: A debate about
its future“, das von George Boston, Ray Edmondson und Dietrich Schüller
verfasst wurde und einer IAC-Sitzung in Lijiang vorlag. Die Richtlinien
sind demnach verbindlich und voll zu implementieren.
Nachdem einleitend die besonders problematischen Punkte aus dem Antrag
der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. angesprochen und dem
UNESCO-Regelwerk gegenübergestellt wurden, sei nun im einzelnen die
Geschichte der Kasseler Handexemplare von Werken der Brüder Grimm
behandelt.
2. Geschenk von zwei Bänden
Handexemplare der „Deutschen
Grammatik“ an die
Landesbibliothek Kassel 1885
... Karteikarte Ludwig
Deneckes mit Abschrift der Widmung der drei Kinder Wilhelm Grimms,
Berlin, 8. Januar 1885 (Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu
Berlin)
... Dankbrief des Oberbibliothekars Albert Duncker an
Herman Grimm, 15. Januar 1885 (Hessisches Staatsarchiv Marburg)
Das erste Handexemplar von Werken der Brüder
Grimm, das in das Eigentum der Landesbibliothek Kassel gelangte, war
der in zwei Teilbände aufgeteilte Band 1 der „Deutschen Grammatik“
Jacob Grimms in der Erstausgabe von 1819, des Werkes also, das als ein
Meilenstein der historischen Sprachforschung dessen internationalen
Ruhm begründete. Die drei Kinder Wilhelm Grimms schenkten es der
Landesbibliothek Kassel anlässlich des hundertsten Geburtstags von
Jacob Grimm (4. Januar 1885). Das Exemplar enthält eine Widmung
mit den Unterschriften der drei Kinder Wilhelm Grimms, Herman, Rudolf
und Auguste, aus der Zeitpunkt, Adressat und Absicht der Schenkung
hervorgehen. Wie die Märchen-Handexemplare befanden sich auch diese
beiden Bände Jahrzehnte im Brüder Grimm-Museum; obwohl der Wortlaut der
Widmung dort hinlänglich bekannt sein dürfte, behauptete der Leiter des
Museums und Geschäftsführer der Brüder Grimm-Gesellschaft im
UNESCO-Antrag und anderweitig, die Grammatikbände seien (um) 1897 der
Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. zum Geschenk gemacht worden. So heißt
es im UNESCO-Antrag: „After the Brüder Grimm-Gesellschaft e.V.
(Brothers Grimm Association), whose first member was Herman Grimm, son
of Wilhelm Grimm, was founded in 1897, the association acquired the
Handexemplare of the Grimms Brothers’ most important works (including
the „German Grammar“ of 1819, et al.) for the Kassel Grimms collection.“
Die Widmung Herman, Rudolf und Auguste Grimms hat folgenden Wortlaut
(nach einer Abschrift Ludwig Deneckes):
Dies Handexemplar der ersten Ausgabe der Deutschen
Grammatik von Jacob Grimm schenken zur Erinnerung an den 4. Januar 1885
die Kinder Wilhelm Grimms der hessischen Landesbibliothek zu Cassel.
Berlin, den 8. Januar 1885.
Erhalten ist auch der Dankbrief des Oberbibliothekars der Landesbibliothek
Kassel, Albert Duncker, an Herman Grimm vom 16.
Januar 1885, in dem es heißt:
Ew. Hochwohlgeboren
haben im Verein mit Ihren Geschwistern durch das Geschenk des
Handexemplars des ersten Bandes von Jacob Grimms „Deutscher Grammatik“
an die hessische Landesbibliothek den Beamten derselben die freudigste
Überraschung bereitet. Nehmen Sie den innigsten Dank für diese ebenso
werthvolle als durch die hochherzige Gesinnung der Schenker rührende
Gabe entgegen.
Das Buch wird von nun an seinen Platz empfangen an der Stätte, die
Ihrem Vater und Oheim, glorreichen und gesegneten Angedenkens, ihr
Leben lang theuer blieb als Zeuge ihres glücklichen gemeinsamen
Schaffens im Heimathlande.
(Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Grimm, Br 971)
Dass die beiden Grammatik-Bände sich im
Eigentum der ehemaligen Landesbibliothek befanden, kann auch deshalb
als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, da dieses Faktum in
gedruckten Beiträgen zu den Brüdern Grimm mehrfach erwähnt wurde. So
zitierte Dunckers Nachfolger im Amt des Oberbibliothekars der
Landesbibliothek, Edward Lohmeyer, in einem Artikel über die Kasseler
Grimm-Sammlung in der „Oberhessischen Zeitung“, Illustriertes
Sonntagsblatt, zweites Blatt, 6. Dezember 1896, aus einem von Herman
Grimm an Lohmeyer gerichteten Brief:
Ich
habe seiner Zeit die beiden Bände der Grammatik der Hessischen
ständischen Landesbibliohek zum Geschenk gemacht, weil mein Wunsch war,
es möchte dieses Zeichen der gelehrten Arbeit Jakobs aus den Casseler
Zeiten dort zur Erinnerung an ihn verbleiben.
Auch
die Grimm-Forschung der Nachkriegszeit kannte die Überlieferungs- und
Eigentumsverhältnisse der beiden Grammatik-Bände. So heißt es bei Karl
Schulte Kemminghausen und Ludwig Denecke: Die Brüder Grimm in Bildern
ihrer Zeit, Kassel 1963, S. 127, als Nachweis zur Abbildung einer Seite
aus diesen beiden Bänden mit Notizen Jacob Grimms:
Das
Buch von Schulte Kemminghausen / Denecke ist in der zweiten Auflage von
1980 unter den im UNESCO-Antrag 2004 von der Brüder Grimm-Gesellschaft
e. V. genannten Quellen angeführt. Obwohl bei Schulte Kemmninghausen /
Denecke die korrekte Information zu finden ist, behauptete der
UNESCO-Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. 2004 etwas anderes.
Anders als im Antrag und in anderen neueren Veröffentlichungen der
Brüder Grimm-Gesellschaft angegeben, wurden die Grammatik-Bände nicht
im Zusammenhang mit der Gründung der alten Kasseler Grimm-Gesellschaft
dieser zum Geschenk gemacht, sondern bereits 1885 der Landesbibliothek.
3. Die alte Kasseler Grimm-Gesellschaft
... Bericht „Die Kasseler
Grimm-Gesellschaft 1896 bis 1905“ von Edward Lohmeyer, Kassel 1906
(Kopie freundlicherweise mitgeteilt
von Wolfgang Windfuhr)
... Dieter Hennig über
die alte Kasseler Grimm-Gesellschaft, 1973
Selbst wenn die Kasseler Handexemplare von Werken
der Brüder Grimm (um) 1897 der alten Kasseler Grimm-Gesellschaft zum
Geschenk gemacht worden wären, würden sie nicht der heutigen Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. gehören, und schon gar nicht kontinuierlich
seit 1897, wie der Antrag behauptet. Denn diese Gesellschaft bestand
nur bis 1920, und die 1942 gegründete Brüder Grimm-Gesellschaft e. V.
steht in keiner Rechtsnachfolge zu ihr. Zudem legte die alte Kasseler
Grimm-Gesellschaft satzungsmäßig fest, dass die von ihr gesammelten
Grimmiana Eigentum der Landesbibliothek sein sollten und dass das
gesamte Vermögen der Gesellschaft im Auflösungsfall der
Landesbibliothek zu übertragen war.
Die Kasseler
Grimm-Gesellschaft entstand auf Betreiben von Bibliothekaren der
Landesbibliothek Kassel. Motivation dafür war der Unmut, dass das
Nationaldenkmal für die Brüder Grimm in
ihrer Geburtsstadt Hanau und nicht in Kassel errichtet worden war und
dass Mitte der 1890er Jahre in Hanau auch an der Gründung eines
Grimm-Museums gearbeitet wurde. Die Kasseler Bibliothekare waren der
Meinung, dass Kassel der geeignetere Standort für ein solches Museum
und dass der optimale Standort eben die Kasseler Landesbibliothek sei,
die ohnehin viele Erinnerungen an die Brüder Grimm als ihre ehemaligen
Mitarbeiter bewahrte.
Über die Entstehung der Gesellschaft und ihre Leistungen berichtet im
Detail der zum zehnjährigen Bestehen vom Spritus rector und
Gründungsvorsitzenden der Gesellschaft, Oberbibliothekar Edward
Lohmeyer, 1906 vorgelegte Bericht. Darin ist S. 30—32 auch die
Satzung der alten Kasseler Grimm-Gesellschaft abgedruckt, in der es
heißt (Hervorhebungen von der Redaktion von Grimmnetz.de):
§ 1. Die Kasseler
Grimm-Gesellschaft stellt sich die Aufgabe, das Andenken an die Brüder
Grimm in einer ihrer hohen Bedeutung entsprechenden Weise zu ehren.
§ 2. Dies Ziel sucht die Gesellschaft insbesondere zu erreichen:
1. durch eine Sammlung, die, im Anschluß an den auf der
Landesbibliothek in Kassel befindlichen Grundstock, Erinnerungen
aller Art an die Brüder, an ihren Verwandten- und Freundeskreis
vereinigt und in das Eigentum der genannten Anstalt übergeht,
soweit nicht anderweite Rechte vorbehalten sind,
2. durch Veranstaltung von Vorträgen, ...
§ 7 ... Für den Fall der Auflösung der Gesellschaft wird ihr gesamter
Besitz, soweit nicht anderweite Rechte vorbehalten sind, Eigentum der
Ständischen Landesbibliothek in Kassel. (S. 30—32)
Auf
der Grundlage des soeben zitierten Geschäftsberichts referierte Dieter
Hennig, Direktor der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und
Landesbibliothek, Leiter des Brüder Grimm-Museums und Geschäftsführer
der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V., in einem Katalog der
Ausstellung des Grimm-Museums
1973 die Geschichte der Kasseler Grimm-Gesellschaft. Die entscheidende
Passage aus der Satzung führte er wörtlich an (Hervorhebungen wiederum
Grimmnetz.de):
... Sammlung, die, im Anschluß an den auf
der Landesbibliothek in Kassel vorhandenen Grundstock, Erinnerungen
aller Art an die Brüder, an ihren Verwandten- und an ihren
Freundeskreis vereinigt und in das Eigentum der genannten Anstalt
übergeht, soweit nicht anderweite Rechte vorbehalten sind ...
Der Katalog von Hennig ist der heutigen
Geschäftsführung der Brüder Grimm-Gesellschaft bekannt, denn er wird im
Antrag an die UNESCO in der Bibliographie zu den Märchen-Handexemplaren
genannt. In jüngeren Darstellungen der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V.
wurde die Satzung der alten Grimm-Gesellschaft in einer gekürzten
Fassung zitiert, so dass nicht mehr deutlich wurde, dass satzungsmäßige
Eigentümerin der Grimm-Bestände die Landesbibliothek war. In einem
Abriss zur eigenen Geschichte auf der Website Grimms.de hieß es 2006:
Auch in der
gedruckten Darstellung zum angeblichen Jubiläum „Hundert Jahre
Brüder Grimm-Gesellschaft“ (in: Jahrbuch
der Brüder Grimm-Gesellschaft 7 [1997], S. 8) und im Beitrag „Die Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. und die literarischen Grimm-Stätten in Hessen“ (in: Kultur
und Politik — Die Grimms, hrsg. von Bernd Heidenreich und Ewald Grothe.
Frankfurt a. M. 2003, S. 345) findet sich die Satzung der alten
Kasseler Grimm-Gesellschaft um genau jene — oben unterstrichenen —
Passagen gekürzt, die das Eigentum der Landesbibliothek an den
Erwerbungen der alten Kasseler Grimm-Gesellschaft für die
Grimm-Sammlung von Beginn an klar festlegen. Beide Beiträge stammen aus
der Feder des Geschäftsführers der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V.
und Leiters des Brüder Grimm-Museums Kassel. Die im
Vergleich zu den Quellen, seien es nun Originalunterlagen der alten „Kasseler
Grimm-Gesellschaft“ oder der
Bericht von Hennig, feststellbaren Kürzungen hinsichtlich des
Satzungszweckes „Sammlung“ lassen die
Vermutung zu, dass der Geschäftsführung der heutigen Brüder
Grimm-Gesellschaft die tatsächlichen Satzungsbestimmungen bekannt sein
mussten und dass sie bewusst irreführend ausgelassen wurden.
4. Ausleihe der Märchen-Handexemplare von Herman
Grimm an Johannes Bolte, Berlin 1899
... Leihvereinbarung
Johannes Boltes mit Grimm-Nachlassverwalter Reinhold Steig, Berlin, 4.
Januar 1899 (Hessisches
Staatsarchiv Marburg)
Im Vorwort zum Band 5 der „Anmerkungen zu den
Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm“ von Johannes Bolte und Georg Polívka berichtete der Erstere 1932:
Das Werk gehört zur Standardliteratur über die
„Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm. Die Handexemplare sind hier
erstmals gründlich ausgewertet worden. Insofern verwundert es sehr,
dass Bolte / Polívkas Grundlagenforschungen 2004 im Antrag der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. an die UNESCO nicht genannt wurden, obwohl die
im Antrag enthaltene Bibliographie sonst sehr ins Detail geht,
beispielsweise beim Thema der Grimm-Rezeption.
Die Aussage Boltes im
Vorwort zum Band 5, dass er die Handexemplare der „Kinder- und
Hausmärchen“ von Herman Grimm entliehen habe, lässt sich durch eine
Leihquittung für acht Bände und zwei Handschriftenfaszikel belegen, die
Bolte und der von Herman Grimm beauftragte Nachlassbetreuer Reinhold
Steig am 4. Januar 1899, also am 114. Geburtstag Jacob Grimms, in
Berlin aufnahmen. Auch die Übergabe der Bände an die Landesbibliothek
Kassel 33 Jahre später ist durch überlieferte Dokumente bezeugt, hierzu weiter unten.
In der von Bolte und Steig unterzeichneten Leihquittung vom 4. Januar
1899 heißt es:
Herr Dr. Johannes Bolte (Elisabeth Ufer 37
hierselbst wohnhaft, erhielt heute zu litterarischer Verwerthung aus
den Händen des Herrn Dr. Reinhold Steig, an den er sie in einiger Zeit
zurückgeben wird, folgende dem Nachlaß der Brüder Grimm zugehörige
Handexemplare und Fascikel:
Märchen 1812 und 1815 ................. 2 Bde.
Märchen 1819—1822 (3 Bde) ........ 3 „
...
(Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Grimm, P 92)
Bei den fünf im Zitat genannten Bänden, zwei von
1812 / 15 und drei von 1819 / 22, handelt es sich um diejenigen, die
auf Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. 2005 von der UNESCO in
das Verzeichnis des Weltdokumentenerbes aufgenommen wurden. Außerdem
lieh Bolte laut Quittung noch ein weiteres, unvollständiges
Exemplar der zweiten Auflage von 1819 (lediglich Bd. 2 und 3), das
Handexemplar des dritten Bandes (Anmerkungsband) von 1856 und zwei
Handschriftenfaszikel.
5. Auflösung der Kasseler
Grimm-Gesellschaft 1920
... Auflösungsprotokoll
vom 8. Juni 1920
(Universitätsbibliothek Kassel)
Wie
aus dem Bericht Edward Lohmeyers von 1906
hervorgeht, konnte die Kasseler Grimm-Gesellschaft beachtliche Erfolge
beim Ausbau der Grimm-Sammlung der Landesbibliothek erzielen, die als
eigene Signaturenreihe in der Handschriftenabteilung geführt wurde. Die
Gesellschaft hatte allerdings nur wenige aktive Mitglieder. Da Ideen
und Arbeitsleistungen großenteils von Lohmeyer persönlich eingebracht
wurden, litt die Gesellschaft seit ihrer Gründung an Lohmeyers sich
verschlechterndem Gesundheitszustand. Die Vorbereitungen für
wissenschaftliche Publikationen der Gesellschaft kamen zum Erliegen,
nachdem Herman Grimm 1901 verstarb und es sich herausstellte, dass er
keine testamentarische Bestimmung über eine zuvor zugesagte
Beihilfe zu Druckkosten hinterlassen hatte. Soweit es die Akten
erkennen lassen, war die Gesellschaft bereits vor Beginn des Ersten
Weltkriegs nicht mehr aktiv. 1920 trugen die verbliebenen Mitglieder
dem eingetretenen Stillstand Rechnung und lösten den Verein auf. Das Protokoll der außerordentlichen
Mitgliederversammlung mit vier Anwesenden, auf der die
Auflösung beschlossen wurde, ist mit anderen Akten der Kasseler
Grimm-Gesellschaft in der Handschriftenabteilung der heutigen
Universitätsbibliothek Kassel erhalten geblieben. Es heißt darin:
(Universitätsbibliothek
Kassel, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel,
Handschriftenabteilung, 2° Ms. Hass. 598)
Die
Handexemplare der „Kinder- und Hausmärchen“,
darunter die fünf Bände des jetzigen UNESCO-Weltdokumentenerbes,
befanden sich zu dieser Zeit noch in Berlin. Die Angabe der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V., sie seien seit 1897 ununterbrochen in ihrem
Eigentum (siehe oben Punkt 1),
ist also falsch,
1.
weil die Bände so früh überhaupt noch nicht nach Kassel kamen,
2. weil sie, selbst wenn sie ab 1897 der Kasseler Grimm-Gesellschaft
übergeben worden wären, automatisch laut deren Satzung in das Eigentum
der Landesbibliothek übergegangen wären und
3. weil schließlich eine Kontinuität im Bestehen einer
Grimm-Gesellschaft nicht gegeben war, sondern sich die alte Kasseler
Grimm-Gesellschaft 1920 auflöste.
6. Übergabe der Märchen-Handexemplare an die
Landesbibliothek Kassel 1932
... Briefwechsel zwischen
Johannes Bolte und Wilhelm Hopf, 1932
(Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz)
1932 wurden die „Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der
Brüder Grimm“
von Bolte / Polívka mit dem Band 5 abgeschlossen. Aus dem Vorwort des
Bandes, in dem Johannes Bolte
schreibt, dass er für die Ausarbeitung der „Anmerkungen ...“
von Herman Grimm die Handexemplare der KHM erhalten hatte und dass
diese nun der Landesbibliothek Kassel übergeben worden seien, haben
wir oben
zitiert. Im Nachlass Boltes sind ein Entwurf bzw. eine
Abschrift seines Begleitbriefes
bei Übergabe der Bände an den Direktor der Landesbibliothek, Wilhelm
Hopf, sowie dessen Antwortbrief
erhalten geblieben (zu Hopf siehe u. a. einen Aufsatz Konrad Wiedemanns,
S. 133). Bolte schrieb am 8. Oktober 1932 an die Landesbibliothek
Kassel:
als
mir Herr Professor Herman Grimm vor mehr als dreißig Jahren die
Handexemplare der Brüder Grimm von den Kinder- und Hausmärchen für die
neue Bearbeitung der Anmerkungen übergab, bestimmte er, daß diese
Bücher nach Erledigung meiner Arbeit an die Grimm-Sammlung der Casseler
Landesbibliothek übergehen sollten.
Diesem Auftrage gemäß erlaube ich mir, Ihnen jene neun Bände zu
übersenden ...
(Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz,
Handschriftenabteilung, Nachlass Bolte, Kasten 15, Fasz. 8, Bl.15)
Die
im Brief Boltes folgende Aufstellung stimmt mit der in der Leihquittung
von 1899
überein, bis auf die nicht ganz unwichtige Einzelheit, dass ein neunter
Band hinzugekommen ist: vom dritten Band in dritter Auflage
(Anmerkungsband, 1856) werden der Landesbibliothek Kassel zwei
Exemplare übergeben, davon eines mit breitem Rand. Den Empfang der
Bände bestätigt Bibliotheksdirektor Hopf am 12. November 1932:
Die
Sendung — neun Bände Handexemplare der Kinder- und Hausmärchen der
Brüder Grimm — ist richtig und vollständig, wie sie in Ihrem Schreiben
vom 8. Oktober d. Js. einzeln aufgeführt werden, hier eingegangen.
Leider war gerade in diesem Augenblick in der zunächst in Betracht
kommenden Zugangsabteilung infolge Beurlaubung eine Vertretung gegeben,
durch die Ihre Sendung nicht sofort erledigt, sondern zurückgelegt
wurde und zu meinem lebhaften Bedauern bis heute liegen blieb. Ich
bitte, dieses unglückliche Zusammentreffen, durch das auch die
Bestätigung des Eingangs unterblieben ist, freundlichst zu
entschuldigen, und darf Ihnen zugleich den ergebensten Dank aussprechen
für Ihre Sendung, die für uns eine eben so willkommene wie wertvolle
Bereicherung unserer Grimmsammlung bedeutet.
(Staatsbibliothek zu Berlin — Preußischer Kulturbesitz,
Handschriftenabteilung, Nachlass Bolte, Briefe Hopf)
Dass
die Märchen-Handexemplare von Herman Grimm der Kasseler
Landesbibliothek zugedacht waren, scheint jedenfalls in den dreißiger
Jahren des 20. Jahrhunderts allgemein bekannt gewesen zu sein. Der
Leiter der Handschriftenabteilung an der Preußischen Staatsbibliothek
Berlin, Karl Christ, schrieb während Verhandlungen mit der Kasseler
Bibliothek über einige strittige Grimm-Objekte, es liege
die
ausdrückliche Bestimmung Herman Grimms vor, dass alle Handexemplare der
Märchen nach ihrer Bearbeitung durch Johannes Bolte an die Kasseler
Bibliothek gegeben werden sollten.
(Karl Christ an Wilhelm Hopf, 13. Januar 1938; Hessisches Staatsarchiv
Marburg, Bestand 223 Nr. 241)
7. Gründung der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. 1942
... Prospekt der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. zur Mitgliederwerbung, ca. 1943
Am
19. November 1942 fand in Kassel die feierliche Veranstaltung zur
Eröffnung einer neuen Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V.
statt. (Zu diesem Zeitpunkt war die Landesbibliothek Kassel im Museum
Fridericianum bereits schwer durch Bombardierung geschädigt.) Mit einem
Prospekt
warb die Brüder Grimm-Gesellschaft um Mitglieder. Zu Arbeitsinhalten
und Projekten wird ausgeführt:
Die
Veranstaltungen und Veröffentlichungen der Gesellschaft werden über die
Grenzen der Heimat hinaus in dem stets auf die Ganzheit des höheren
völkischen Lebens gerichteten Geist der Brüder Grimm einer umfassenden
Wissenschaft vom deutschen Volke zu dienen suchen.
Nie das Ziel wahrer Volkstümlichkeit aus dem Auge lassend, wird die
Brüder Grimm-Gesellschaft dem überkommenen Kulturgut in Ehrfurcht vor
dem Erbe der Ahnen ihre Arbeit widmen, nicht allein zur Erhaltung des
Bedrohten, sondern vor allem zur Fruchtbarmachung des noch immer
Lebendigen. In tätiger Treue zur Vergangenheit gilt gerade hier ihr
Dienst unserer Gegenwart.
In einer Zeit des starken Neuwerdens müssen Kräfte da sein und am Werke
sein, die den Zusammenhang zwischen dem unverlierbaren Alten und dem
heraufkommenden Neuen wahren und die Stetigkeit der Entwicklung
sichern. Zu diesem Dienst ruft die Brüder Grimm-Gesellschaft alle auf,
die seine Bedeutung und Notwendigkeit erkennen.
Ihrem Ziel dient die Brüder Grimm-Gesellschaft durch Vorträge und
Vortragsreihen, Arbeitsgemeinschaften, Lesungen, Ausstellungen.
Regelmäßige mehrtägige Brüder Grimm-Tagung in Kassel. Neuherausgabe der
Werke der Brüder Grimm, ihres Briefwechsels usw. Herausgabe und
Neuherausgabe von Werken aus dem Arbeitsgebiet der Gesellschaft.
Herausgabe eines Brüder Grimm-Jahrbuches. Herausgabe einer Zeitschrift.
Förderung der Forschung auf dem Arbeitsgebiet der Gesellschaft.
Förderung der Grimm-Forschung. Förderung in Hessen lebender Dichter und
Schriftsteller, sofern ihr Schaffen für das Arbeitsgebiet der
Gesellschaft von Bedeutung ist.
Festzuhalten
ist, dass die Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. bei ihrer Gründung sich
nicht in Rechtsnachfolge zur alten Kasseler Grimm-Gesellschaft sah und
auch keine Ansprüche auf die Grimm-Bestände der Landesbibliothek erhob.
Solche Konstruktionen blieben einer späteren Epoche vorbehalten.
Außerdem ist bemerkenswert, dass sie sich keinerlei Sammelauftrag gab.
8. Die Kasseler Grimm-Handexemplare im Zweiten
Weltkrieg
Aus den Akten der Kasseler Landesbibliothek geht
hervor, dass die von Johannes Bolte übergebenen KHM-Bände (bis auf
einen) und das zweibändige Handexemplar der „Deutschen
Grammatik“ sich
über die großen Bombardierungen hinweg in Kassel erhalten hatten. In
einer Auflistung von damals heißt es:
Die
Ausg. der Märchen mit Randbemerkungen der Brüder Grimm sowie andere
alte wertvolle Grimmsche Märchenausgaben und Jacob Grimms Handexemplar
der Grammatik mit Nachträgen von seiner Hand liegen im Schliessfach der
Landeskreditkasse.
(Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 223 Nr. 112)
Nachfolgend
listete die Landesbibliothek die in ihrem Depot in der
Landeskreditkasse lagernden Handexemplare der KHM mit den damaligen
Signaturen einzeln auf, dazu auch das Handexemplar der Grammatik.
K. Gr. Sg.
341 Grimm, Jacob u. Wilhelm.
Kinder- u. Hausmärchen. Bd. 1. 2. 1812. 1815.
K. Gr. Sg. 341 a Dass. Handex. der Brüder mit
handschriftlichen Randbemerkungen. Bd. 1. 2. 3.
(in 2. Aufl.) 1819
K. Gr. Sg. 341 b Dass. 2. Aufl. Bd. 2. 3. 1819.
1822
K. Gr. Sg. 341 d Dass. 3. Aufl. Bd. 3 1856
2° Philol. 112, 1. 2. Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik.
Jacob Grimms Handexemplar mit vielen handschriftlichen Nachträgen.
T.
1. Hälfte 1. 2.
Göttingen: Dieterich 1819.
(ebd.)
Es
fällt auf, dass in der Signaturenfolge der im Schließfach der
Landeskreditkasse eingelagerten Bände die Nummer 341 c fehlt. Sie war
mit dem anderen der beiden Exemplare des Anmerkungsbandes von 1856
belegt, die Johannes Bolte der Landesbibliothek 1932 übergab (s. o.). Laut einem
Notizzettel, den Ludwig Denecke bei der Benutzung der Kasseler Bestände
in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts anfertigte (erhalten in
seinem Nachlass, Humboldt-Universität zu Berlin), war dies ein
breitrandiges Exemplar in braunem Kaliko-Einband mit dem Titelschild
„Märchen“. Es enthielt Beilagen und zahlreiche Notizen Wilhelm Grimms.
Denecke zitiert folgende Notizen: „der erste correcturbogen 11. Febr.
1856“, „fertig erhalten 28. Juni 1856“. Wohin die Bibliothek den Band
341 c auslagerte, ist bisher nicht ermittelt.
9. Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek nach
1945; Gründung des Brüder Grimm-Museums 1959; Veränderungen des
Eigentumsstatus von Bibliotheksbeständen 1957 / 1958 und 1975 / 1976
... Universitätsbibliothek
Kassel, Landesbibliothek
... Gründungsvertrag des
Brüder Grimm-Museums Kassel
Die
Buchbestände der Landesbibliothek Kassel wurden durch die mehrfachen
Bombardierungen Kassels im Zweiten Weltkrieg zum größten Teil
vernichtet. Die Sammlung der Handschriftenabteilung blieb fast
vollständig erhalten. Auch Bestände der Murhardschen Bibliothek, einer
Stiftung der Brüder Friedrich und Karl Murhard an die Stadt Kassel,
wurden durch die Bombardierungen zu rund 60 Prozent vernichtet,
insgesamt überstand die Murhardsche Bibliothek infolge ihrer Lage am
Rand des Stadtzentrums den Krieg jedoch besser als die
Landesbibliothek. Bei der Murhardschen Bibliothek blieb auch das
Gebäude benutzbar; das der Landesbibliothek, das Museum Fridericianum,
stand erst etwa zehn Jahre nach Kriegsende wieder zur Verfügung. Schon
in der letzten Zeit des Dritten Reichs bestand die Absicht, die
Landesbibliothek mit der Murhardschen Bibliothek zusammenzulegen, um
anstelle zweier beschädigter eine vereinigte intakte wissenschaftliche
Bibliothek zu schaffen. Diese Absichten wurden nach dem Krieg wieder
aufgegriffen und in den fünfziger Jahren nach langwierigen
Verhandlungen zwischen dem Land Hessen und der Stadt Kassel in die Tat
umgesetzt. Das Land Hessen übertrug die Bestände der Landesbibliothek
mit Ausnahme der Handschriften in das Eigentum der Stadt Kassel. Die
Hauptbestimmungen des Vertrags vom 19. November 1957 / 13. Januar 1958
hinsichtlich des Eigentums an der bisherigen Landesbibliothek lauteten:
§ 1, Abs. 2. Zum 1. April 1957 geht die
Landesbibliothek mit allen Aktiva und Passiva, mit den Akten der
Verwaltung und den Beständen an Büchern, Karten und Noten in das
Eigentum und die Verwaltung der Stadt über.
Abs. 3. Das Land Hessen verzichtet auf eine Entschädigung. Es behält
sich das Eigentum an den Handschriften vor, die in der Anlage zu diesem
Vertrag aufgeführt sind. [Anmerkung Grimmnetz: Die Anlage listet die
Handschriftengruppen der ehemaligen Landesbibliothek auf.] Die Stadt
Kassel verpflichtet sich, die Handschriften in der Bibliothek
aufzubewahren und für eine odnungsmässige Unterhaltung und Verwaltung
der Handschriften Sorge zu tragen.
(Kopie des Vertrags in der Handschriftenabteilung der
Universitätsbibliothek, Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek
Kassel)
Aus dem Vertrag ergibt sich, dass die
Handschriftensammlungen der Landesbibliothek (darunter auch Objekte,
die sich bis heute im Brüder Grimm-Museum befinden) kontinuierlich
Landeseigentum waren.
Die praktische Zusammenführung der beiden
Bibliotheken wurde unter der Direktion Ludwig Deneckes vollzogen, der die dann
so genannte Murhardsche und Landesbibliothek (MuLB) von 1959 bis 1969
(oder 1968?) leitete. Er war zugleich Leiter des 1959 von der Stadt
Kassel und der Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. in der Murhardschen und
Landesbibliothek eröffneten Brüder Grimm-Museums. Deneckes Nachfolger
als Bibliotheksdirektor und Museumsleiter war Dieter Hennig. Während
der Direktion von Denecke und Hennig wurden aus den Druck- und
Manuskriptsammlungen der Bibliothek zahlreiche Grimmiana entnommen und
zu Ausstellungs- und Forschungszwecken in die Räume des Museums
verbracht. Das Brüder Grimm-Museum galt während der Amtszeit Ludwig
Deneckes und Dieter Hennigs als Teil der Murhardschen und
Landesbibliothek, ebenso das Documenta-Archiv. Schriftstücke Dieter
Hennigs führen dies im einzelnen aus; im Hinblick auf den Status des
Grimm-Museums als frühere Abteilung der Bibliothek bewilligte jene dem
Museum zur Vorbereitung der Ausstellungen „200 Jahre Brüder Grimm“ noch
in den achtziger Jahren Zugang zu Magazinbereichen (Dokumente im
Stadtarchiv Kassel). Eine Veränderung des Eigentumsstatus der 1959 bis
1975 in das Museum verbrachten Grimmiana aus der Landesbibliothek, der
Murhardschen Bibliothek und der vereinigten Murhardschen und
Landesbibliothek während der genannten Zeitspanne von 1959 bis 1975 in
der Weise, dass etwa ehemalige Bestände der Landesbibliothek rechtlich
aus der Bibliothek herausgelöst worden wären oder gar städtisches
Eigentum an die Brüder Grimm-Gesellschaft übertragen worden wäre,
erfolgte nicht. Die im Vertrag von 1957 ausgeklammerten Handschriften
befanden sich 1957 bis 1975 im Landeseigentum, die übrigen Bestände im
Eigentum der Stadt Kassel.
Mit der Gründung der Gesamthochschule Kassel
veränderten sich die Anforderungen an das Kasseler Bibliothekswesen.
Die Gesamthochschule und heutige Universität benötigte eine moderne und
leistungsfähige Bibliothek, und es lag nahe, die in Kassel bereits
vorhandene wissenschaftliche Bibliothek mit ihren wertvollen
Altbeständen dabei einzubeziehen. Im Vertrag vom 12. Dezember 1975 über
die Integrierung der Murhardschen Bibliothek der Stadt Kassel und
Landesbibliothek in das Bibliothekssystem der neuen Gesamthochschule
übernahm das Land Hessen die 1957 der Stadt Kassel übereigneten
Bestandteile der alten Landesbibliothek, darunter Bücher, Karten und
Noten, zurück in sein Eigentum.
Der gesamte Bibliotheksverbund
wird seit dem 1. Januar 1976 vom Land Hessen verwaltet. Im einzelnen
bestimmt der Vertrag dazu folgendes (Hervorhebungen Grimmnetz):
§
1 Abs. 1. Die MuLB geht zum 1. Januar 1976 mit den Akten der Verwaltung
und den Beständen an Büchern, Katalogen, Karten, Noten, Mikrofilmen,
Bildern, Handschriften, Möbeln, Gerät und sonstigen beweglichen
Einrichtungen in die Verwaltung des Landes Hessen über.
Abs. 2. Die Stadt bleibt Eigentümerin aller Bestände der MuLB nach dem
Stand vom 31. Dezember 1975 an Büchern, dazugehörenden Katalogen,
Karten, Noten, Mikrofilmen, Bildern, Handschriften und Akten. ... Diese
Bestände gehen unter dem Namen „Murhardsche
Bibliothek der Stadt Kassel“
in die Verwaltung des Landes über. ...
Abs. 3. Alle im Absatz 2 nicht aufgeführten beweglichen
Einrichtungsgegenstände sowie die im Vertrag zwischen der Stadt
Kassel und dem Land Hessen vom 19. November 1957 / 13. 1. 1958 in § 1
Abs. 2 bestimmten Sachen [Anmerkung Grimmnetz: Dies entspricht dem
Gesamtkomplex ehemalige Landesbibliothek außer den ohnehin im
Landeseigentum befindlichen Handschriften] gehen in das Eigentum
des Landes über.
(Staatsanzeiger für das Land Hessen, Nr. 7 [1976], S. 325 ff.)
Der in Absatz 3 zitierte Absatz 2 im § 1 des
Vertrages von 1957 / 58 ist oben angeführt. Sein Inhalt war die Übereignung aller
Bestände der alten Landesbibliothek außer den in Absatz 3 des § 1 von
1957 behandelten Handschriften an die Stadt Kassel gewesen. Die
Handschriften waren ohnehin im Landeseigentum verblieben, die übrigen
Teile der Landesbibliothek wurden mit Abschluss des neuen Vertrags am
12. Dezember 1975 an das Land rückübertragen. Am 31. Dezember 1975
befanden sich in den Beständen der künftigen „Murhardschen Bibliothek“
nach § 1 Absatz 2 des Vertrags von 1975 noch die Altbestände der
Murhardschen Bibliothek aus der Zeit bis 1957 und die seit 1957 für die
vereinigte MuLB neu erworbenen Bestände.
10. Brief von Wissenschaftlern und
Bibliothekaren an die UNESCO mit der Bitte um Richtigstellung der
falschen Angaben zu Überlieferungs- und Eigentumsverhältnissen, 2006
... Brief an die UNESCO vom 13. November 2006
... deutsche Fassung
Nachdem deutlich geworden
war, dass die Brüder Grimm-Gesellschaft e. V. sich in ihrem Antrag an
die UNESCO 2004 in kaum begreiflicher Weise selbst als Eigentümerin der
Kasseler Grimm-Handexemplare benannte und behauptete, sie sei sogar
schon seit 1897 deren Eigentümerin, sahen sich die Kasseler
Universitätsbibliothek und Grimm-Forscher zu einer genauen Prüfung
dieser bereits auf den ersten Blick unplausiblen und unstimmigen
Angaben veranlasst. Die Überprüfung ergab, dass die von der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. im Antrag von 2004 mehrfach wiederholten
Informationen zu den Überlieferungs- und Eigentumsverhältnissen völlig
unrichtig sind, wie oben im einzelnen dargelegt. Man kann sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass es das Ziel dieser Verfälschungen
gewesen sein könnte, die Handexemplare aus dem öffentlichen Eigentum zu
entfremden und völlig in die Verfügungsgewalt der Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. zu bringen. Der Fall geht über die elf Bände
Handexemplare weit hinaus, weil diese Ansprüche, wenn sie
unwidersprochen geblieben wären, wohl früher oder später auf andere
Grimm-Bestände aus der ehemaligen Landesbibliothek Kassel (und
Grimmiana aus städtischem Eigentum) ausgedehnt worden wären. Die
Aufklärung dieser Sachverhalte und eine einwandfreie Neuregelung sind
nicht nur ein Anliegen historischer Rekonstruktion, sondern vielmehr
geht es um einen gravierend krisenhaften Zustand in der Pflege des
Grimm-Erbes, für dessen Bereinigung die UNESCO, das Land Hessen und die
Stadt Kassel weiterhin in der Pflicht sind, im Interesse des
öffentlichen Zugangs zu den Dokumenten, im Interesse einer seriösen
Ausstellungstätigkeit und Grimm-Forschung und im Sinn derjenigen, die
seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu diesen Sammlungen beigetragen und
sie gepflegt haben.
11. Taxierung der
Märchen-Handexemplare auf 30 Millionen Euro (30 % des Vermögens der
Stadt Kassel) und Verbringung in einen Banktresor, 2007
... überraschende Nachricht über Taxierung der
Handexemplare auf 30 Millionen Euro und Lagerung in Banktresor,
(Zeitungsbericht 23. Februar 2007)
... Eigenkapital der Stadt Kassel zum 31. Dezember 2007
100 Millionen Euro (Zeitungsbericht 25. Februar 2007)
... weitere
Reaktionen von Medien und Öffentlichkeit 2007 / 2008 (Auswahl)
Im Februar 2007 teilte die Stadt Kassel mit,
die Märchen-Handexemplare befänden sich jetzt im Banktresor. Denn die
zum Weltdokumentenerbe erklärten Bücher der Grimms seien äußerst
wertvoll, so Bürgermeister und Kulturdezernent Junge:
Geschätzter Wert: 30 Millionen Euro. Mit
dieser Zahl überraschte der Bürgermeister auch die Stadtverordneten,
die sich für den seit Jahren schwelenden und seit Kurzem offen
ausgetragenen Streit um die Eigentumsrechte an den kostbaren Büchern
aus dem Nachlass der Brüder Grimm interessieren.
Ferner räumte der Kulturdezernent ein, dass
„in den Anträgen an die Unesco zur Anerkennung der Handexemplare als
Weltkulturerbe die Grimm-Gesellschaft als Eigentümer genannt werde.
Diese in englischer Sprache verfassten Schriftstücke müssten aber noch
genau geprüft werden“. (Zitate HNA Kassel vom 23. Februar 2007). Der
Leiter des Brüder Grimm-Museums und Geschäftsführer der Brüder
Grimm-Gesellschaft habe „im Wissen um den Rechtsstreit um das Eigentum
an den Handexemplaren ʻim besten Wollenʼ zu handeln beabsichtigt, als
er die Grimm-Gesellschaft als Eigentümerin meldete, bis die
Eigentümerfrage zwischen Stadt und Land geklärt sei“, so der
Kulturdezernent (FAZ vom 28. Februar 2007). — Den Berichten über die
finanzielle Bewertung der Handexemplare ging ein Zeitungsbericht unter
dem Titel „Kassel fehlt Eigenkapital“ voraus, in welchem es hieß,
dass das Eigenkapital der Stadt Kassel zum
Stichtag 31. Dezember 2006 lediglich 100 Millionen Euro betrage. Die
Posten in der Erhebung reichen ... von Schulen und städtischen Straßen
bis zu den auf einen Wert von 30 Millionen Euro bezifferten
Märchen-Handexemplaren der Brüder Grimm, um deren Eigentumsrechte
gegenwärtig ein heftiger Streit tobt. Die Eigenkapitaldecke müsse
verstärkt werden, forderte der Kämmerer“.
(HNA vom 25. Februar 2007)
12. Vermerk auf der Website der
UNESCO über Prüfung fraglicher Angaben, 2008
... Screenshot von der
Website der UNESCO vom 13. März 2008
Nach längeren internen Diskussionen fügte die UNESCO
ihrer Website zu den „Kinder- und Hausmärchen“ folgende Bemerkung
hinzu, die dort mehrere Jahre verblieb:
Some elements regarding the provenance,
history and ownership of the personal annotated copies (Handexemplare)
of the Kinder- und Hausmärchen have been questioned and are presently
being studied.
13.
Fünfpunkteplan zur Klärung der Unstimmigkeiten um Kasseler
Grimm-Bestände, 2007 / 2008
... deutsche Fassung
... englische Fassung
Während das Land Hessen, die Stadt Kassel,
die Brüder Grimm-Gesellschaft und die UNESCO Möglichkeiten einer
Neufassung des Antrags erwogen, unterstützten bis April 2008 zahlreiche
Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Bibliothekswesen und Öffentlichkeit
einen Fünfpunkteplan zur Klärung der Unstimmigkeiten um Kasseler
Grimm-Bestände mit folgenden Hauptanliegen:
1.
Die fünf Bände des UNESCO-Weltdokumentenerbes aus dem Banktresor in die
Landes- und Murhardsche Bibliothek bringen, wo sie fachgerecht betreut
und zugänglich gemacht werden können,
2.
die Eigentümerschaft und sonstigen Rechtsverhältnisse dieser Bände
feststellen, wie es die UNESCO-Richtlinien vor der Eintragung in das
Register des „Memory of the World“ verbindlich vorschreiben,
3.
eine solche Klärung auch für die übrigen zur Zeit im Brüder
Grimm-Museum verwahrten Kasseler Grimm-Bestände aus Bibliotheksbesitz
vornehmen und die betroffenen Bestände an die Landes- und Murhardsche
Bibliothek zurückgeben,
4.
eine neue UNESCO-Urkunde ausfertigen und überreichen, durch die man die
Universität Kassel und die Stadt Kassel gemeinsam für die Pflege und
Erschließung des Grimm-Erbes in die Verantwortung nehmen könnte,
5.
Leihgaben für den Ausstellungsbetrieb des Brüder Grimm-Museums zwischen
Landes- und Murhardscher Bibliothek und Kuratorium des Museums
vereinbaren.
Der Vorschlag berücksichtigt, dass es
Probleme hinsichtlich Eigentum und Besitz auch bei einem großen Teil
weiterer Kasseler Grimm-Bestände gab.
14. Veränderter Antrag der Brüder Grimm-Gesellschaft
e. V., unterstützt vom Land Hessen und der Stadt Kassel, an die UNESCO,
2011
... englische Version des
UNESCO-Antrags von Juli 2011
Die jetzt gültige, veränderte Fassung des Antrags zur Aufnahme der
„Kinder- und Hausmärchen“ in das UNESCO-Weltdokumentenerbe (Memory of
the World) aus dem Juli 2011 liegt auf der Website der UNESCO nur als
englische Version vor. Als französische Version bot
die UNESCO mehrere Jahre (Stand Januar 2015) noch den
fehlerhaften Text von 2004 an; 2022 ist keine französische Version
mehr auf der UNESCO-Website auffindbar
Der neue Antragstext von 2011 führt erneut die Brüder
Grimm-Gesellschaft e. V. als Antragstellerin sowie, zusätzlich zur
Konstellation des Antrags von 2004, die Stadt Kassel und das Land
Hessen als Unterstützer. Als Standort wird das Brüder Grimm-Museum
Kassel genannt. Die Kontaktangaben zu den Bänden lauten auf die Brüder
Grimm-Gesellschaft, das Land Hessen, die Universität Kassel und die
Stadt Kassel.
Zur Provenienz der Bände wird in Punkt 3.2
(Description, Unterpunkt History, S. 5 f.) ausgeführt:
At the turn of
the 19th to the 20th century, Herman Grimm handed the Annotated
Reference Copies of the Children’s and Household Tales over to Prof.
Dr. Bolte, a scholar residing in Berlin, who used them for the new
adaptation of the Children’s and Household Tales. Prof. Dr. Bolte
writes on October8th 1932 to the then acting director of the state of
Hesse Library, Hopf: … “When Professor [Herman] Grimm handed me the
fairytales of the Brothers Grimm more than thirty years ago for
adaptation, he determined that these volumes should be donated to the
State Library Cassel after I terminated my work.” Director
Hopf acknowledged the receipt of the volumes with a letter of thanks on
November12th 1932. Therefore, the state of Hesse Library has been
proprietor and in possession of the Annotated Reference Copies since
the end of 1932.
With a contract dated November19th 1957 / January13th 1958, the state
of Hesse and the city of Kassel have agreed that the “State
Library (in Kassel) with all its assets and liabilities, all
administrative files and all books, maps and musical notations will be
transferred into the ownership and the administration of the city of
Kassel”. Excluded from this transfer of ownership
were only the manuscripts stated in an amendment to said contract. The
Annotated Reference Copies of the Brothers Grimm are not included in
that list.
In 1959, the Museum of the Brothers Grimm of the City of Kassel was
founded by the City of Kassel and the Association of the Brothers
Grimm. All objects related to the topic “Grimm” were
transferred to the museum. This included the Annotated Reference Copies
of the Children’s and Household Tales.
In 1975 the state of Hesse established the Polytechnic (University)
Kassel. On December 12, 1975, the state of Hesse and the City of Kassel
concluded an agreement about the retransfer of ownership of the State
Library (in Kassel). Since then the ownership of parts of the
collection, especially of the Annotated Reference Copies of the
Children’s and Household Tales, is a question of dispute between the
contract parties.
Meanwhile the state of Hesse and the City of Kassel have reached an
agreement about keeping the Annotated Reference Copies in Kassel
permanently, as part of the contract between the state of Hesse and the
City of Kassel about the reorganization of the Museumslandschaft – the
local museums - dated December 2007. The contract specifies that the
state of Hesse and the City of Kassel will ensure “the presentation of
the Grimm’s Children’s and Household Tales as a UNESCO Memory of the
World document in the Museum of the Brothers Grimm in Kassel” (compare
§7 of the Cultural Cooperation Agreement between the State of Hesse and
the City of Kassel, attached in a working translation to the copy of
the original contract. Se also Section 5. Legal information of this
revised form).
(Zu der in dieser neuen Version des
Antragstextes enthaltenen Bemerkung, die KHM-Handexemplare hätten sich
nicht auf der Liste im Anhang des Vertrages von 1957 / 58 befunden, sei
auf den eingangs zitierten Aufsatz des
späteren Direktors der Kasseler Bibliothek, Axel Halle, verwiesen, der auf S. 169 ausführt, dass die alte
Grimm-Sammlung nach dem Zweiten Weltkrieg die Signatur 4° Ms. hist.
litt. 45 erhielt und diese sehr wohl auf der Liste erscheint. Selbst
anderenfalls wären die Bücher jedoch Teil der Rückübertragung von 1975
gewesen, siehe oben das
Zitat aus dem Vertrag vom 12. Dezember 1975).
Zur Eigentümerschaft heißt es in Punkt 5.1
des Antragstextes:
The ownership of the Annotated Reference
Copies is unclear and is claimed by two public owners, being the State
of Hesse (Land Hessen) and the City of Kassel. A decision in court on
this question is not being sought by either of the two parties at
present. Despite the disagreement on ownership both parties agree on
fulfilling their duty concerning preservation and access.
In December 2007 the State of Hesse and the municipality of Kassel
formally agreed on a cooperation in cultural affairs.This includes the
joint recognition that the appreciation of the heritage of the Brothers
Grimm is in the common interest of both the City of Kassel and the
State of Hesse. As the Annotated Reference Copies of the Children’s and
Household Tales of the Brothers Grimm are part of the UNESCO Memory of
the World Registry, the cooperation partners commit themselves to the
permanent presentation of the Annotated Reference Copies in the Museum
of the Brothers Grimm in Kassel. This museum is being further developed
into an up-to-date exhibition, research and archive facility. In
addition, both cooperation parties agree on fulfilling their duties
concerning preservation and access to these Annotated Reference Copies.
Im Punkt 5.3 wird zum rechtlichen Status
näher ausgeführt:
The State of Hesse and the City of Kassel
have declared that the Annotated Reference Copies should be exhibited
permanently within the Museum of the Brothers Grimm in Kassel; they
are, however, also accessible to researchers and interested laypersons.
A complete digitized version of the Annotated Reference Copies is
available.
Zum Copyright, das im Antrag von 2004 von der
Brüder Grimm-Gesellschaft beansprucht wurde, heißt es nunmehr ebenda:
The work is in the public domain. Under
German copyright law, any work becomes a public domain work seventy
years after the death of the author.
Seit 2011 seien die Handexemplare auf einer
CD-ROM verfügbar, die Faksimiles und Transkriptionen enthalte.
15. Schlussbemerkungen
Es ist zu hoffen, dass Probleme, wie sie
im Fall der Kasseler Grimm-Handexemplare aufgetreten sind, künftig
vermieden werden. Denn es wäre paradox, dass ein Programm zur Pflege
des Weltdokumentenerbes dazu missbraucht werden könnte, verfälschte
Geschichtsbilder und daraus abgeleitete Rechtsansprüche von der UNESCO
absegnen zu lassen. Ebenso paradox wäre der Fall, dass nach der
Aufdeckung solcher Verfälschungen auf nationaler Ebene eine Rangelei um
die von der UNESCO „geadelten“ Bestände entsteht, durch die gar
der eigentliche Eigentümer unter Druck gerät, aus politischen
Rücksichten auf seine Rechte ganz oder teilweise zu verzichten. Durch
den Bezug auf die UNESCO erhält jegliches Geschehen um diese
Dokumente eine zusätzliche politische Dimension, was ein Schutz für die
Dokumente sein kann, was es aber auch erschwert, die durch die
UNESCO-Gremien mitgetragenen und beurkundeten Verhältnisse noch zu
verändern, auch wenn sie unrechtmäßig oder unsachgemäß sein sollten.
Den für das Weltdokumentenerbe zuständigen Gremien der UNESCO ist dafür
zu danken, dass sie letztlich doch darauf bestanden haben, den bereits
bewilligten Antragstext zu den „Kinder- und Hausmärchen“ von 2004
nachträglich zu verändern und damit eine Klärung der Unstimmigkeiten um
die Kasseler Grimm-Bestände einzuleiten.
Die als UNESCO-Weltdokumentenerbe registrierten Märchen-Handexemplare
sind inzwischen komplett digitalisiert und werden in der “Grimmwelt”
Kassel ausgestellt.
Satirisches PS
Für
die ARD-Krimiserie “Pfarrer Braun” wurde 2010 eine durch die auf dieser
Website zusammengefassten Vorgänge inspirierte Folge mit dem Titel
“Grimms Mördchen” produziert, die teilweise im ehemaligen
Brüder Grimm-Museum Kassel und in der früheren Wohnung der Brüder Grimm
am Wilhelmshöher Tor - damals ein Gerichtsssaal - gedreht wurde. Auch
die Kasseler Lokalzeitung berichtete: https://www.hna.de/kassel/moerder-grimm-erbe-963678.html
Der
damalige tatsächliche Kasseler Oberbürgermeister Bertram Hilgen (SPD)
übernahm im Spielfilm die Rolle des Rechtsbeistands für den
Museumsdirektor.
(Recherche, Zusammenstellung und Redaktion: Berthold
Friemel, Alan Kirkness, Holger Ehrhardt; wir danken für Quellenbeiträge
und Hinweise von Axel Halle, Konrad Wiedemann und Wolfgang Windfuhr;
Abbildungen: Hessisches Staatsarchiv Marburg, Bestand 340 Grimm, B
29; Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder
Grimm.Vergrößerter Nachdruck der zweibändigen Erstausgabe von 1812 und
1815 nach dem Handexemplar des Brüder Grimm-Museums Kassel, mit
sämtlichen handschriftlichen Korrekturen und Nachträgen der Brüder
Grimm sowie einem Ergänzungsheft. Transkriptionen und Kommentare in
Verbindung mit Ulrike Marquardt von Heinz Rölleke. Göttingen
1986; Karl Schulte-Kemminghausen und Ludwig Denecke: Die Brüder
Grimm in Bildern ihrer Zeit. Kassel 1963 [Bilder aus den Handexemplaren
mit Erlaubnis der Universitätsbiliothek Kassel, Landesbibliothek und
Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel]; weitere Nachweise im Text)
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