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28. April: Rölleke über Grimm-Gesellschaft in Kassel
„Märchenwerkstatt der Brüder Grimm“ auf der EXPO 2000
Grimm-Museumsbestand aus Familienbesitz
(Grimmforum, April / Mai 2006)

Das Kulturnetz Kassel lädt zu einem Vortrag Heinz Röllekes über das Kasseler Grimm-Erbe ein:

Der Vortrag steht im Kontext des Kasseler Reformprozesses, siehe andere Beiträge.
Das Bild auf der Einladung gibt Anlass zum Kopfschütteln. Aber vielleicht ist es ironisch gemeint? Jedenfalls zeigt es ein als ‚Schreibschrank aus der Familie Grimm‘ und Relikt der ‚Märchenwerkstatt‘ auf der Expo 2000, im Grimm-Museum und zur Zeit auf einer Tournee in Japan präsentiertes Möbelstück, das allerdings mit den Brüdern Grimm so gut wie nichts zu tun hat. Im Forum der HNA wurde dies ausführlich diskutiert. Da dieses Ausstellungsstück symbolisch für die Kasseler Grimm-Probleme stehen kann und die Informationen dazu im Grimmforum noch nicht zu lesen sind, sollte man sie evtl. hier auch zusammenstellen und ergänzen.
Mit diesem meinem Beitrag möchte ich lediglich auf den Kasseler Vortrag von Heinz Rölleke aufmerksam machen. Die Informationen zu dem Schreibschrank sollten anderweitig noch hier zusammengetragen werden. ✍
Droese, 19. April 2006
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Wortmeldung Dr. Lauers

Auf den Schreibsekretär, der auf obigem Bild zu sehen ist, wurde bei der Rölleke-Veranstaltung in Kassel am vorigen Freitag weiter eingegangen. Heinz Rölleke meinte, er wisse nicht, ob der Abbildung des Schreibsekretärs auf der Einladungskarte ein Irrtum oder subtile Ironie zugrundliege. Seit knapp sechs Jahren sei das Möbelstück durch die Ausstellung als Grimm-Schreibschrank auf der Expo berühmt; zahlreiche Photographien von ihm zierten als Reiseandenken Photoalben, vor allem in Japan und den USA, in der Annahme, es handle sich hierbei um den „Märchenschreibtisch“, das kostbarste Möbelstück aus der Grimmschen Märchenwerkstatt. Aus dem HNA-Forum übernehme ich hier noch ein Bild von der Situation, wie der Schreibsekretär auf der Expo Hannover 2000 stand:


(Quelle: http://www.manfred-roeben.com)

Die Presse berichtete damals überregional, das Land Hessen zeige auf der Expo den Schreibschrank der Brüder Grimm. Da es sich um ein Möbelstück handelt, das die Brüder Grimm vermutlich, wenn überhaupt, nur sehr selten zu Gesicht bekamen (es kam in die Familie ihres Schwagers Ludwig Hassenpflugs zu einer Zeit, als sie mit diesem kaum noch Kontakte hatten), geriet die Legende von der „Märchenwerkstatt“ in den letzten Wochen in Kritik, zuletzt durch den „Spiegel“-Artikel von gestern (näheres im HNA-Forum in den Intrigenstadl- und Märchenwunderland-Threads). Auf der Veranstaltung am Freitag meldete sich Dr. Lauer, der Leiter des Brüder Grimm-Museums, zu Wort und äußerte sich zu dem Exponat.

Ich wollte was zu dem Schreibsekretär auf der Expo sagen. Die ganze Wahrheit ist, daß auf der Expo nicht nur der Schreibsekretär aus der Familie Hassenpflug präsentiert worden ist (und das ist auch so in der Beschriftung dargestellt worden), sondern im Zentrum dieser Präsentation standen die Kasseler Handexemplare der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm, und auf dem Schreibtisch gab es einige originale Stücke aus dem Nachlaß der Brüder Grimm, die auch ganz klar aus dem Nachlaß stammten. Und das Wort „Märchenwerkstatt“ war sowohl auf der Expo als auch jetzt in dem kleinen Führer durch das Brüder Grimm-Museum, wo wir jetzt zu Leben und Werken der Brüder Grimm 64 Seiten publiziert haben, stand diese „Märchenwerkstatt“ in Anführungszeichen. Und die Präsentation, da mußte man einige Kompromisse auch an solche Ausstellungsmacher auf der Expo machen. Wir waren nicht in der Lage, einen originalen Schreibtisch etwa aus Nürnberg in die Expo hineinzubringen, das wurde abgelehnt. Und die Märchenwerkstatt der Brüder Grimm wurde dann ergänzt, die authentische Märchenwerkstatt, repräsentiert durch die Handexemplare der „Kinder- und Hausmärchen“, die ja im vergangenen Jahr auf unsere Bemühungen hin als Weltdokumentenerbe von der Unesco anerkannt worden sind, diese Handexemplare bekamen dann eine Hülle dieses Hassenpflug-Sekretärs, der ist aber nirgendwo als Möbel der Familie Grimm oder als aus dem direkten Nachlaß der Familie Grimm stammend bezeichnet worden. Das nur zur Korrektur.

Wie der Schreibschrank im einzelnen auf der Expo oder bei anderen Ausstellungsstationen beschriftet wurde, weiß ich nicht (zur Zeit ist er in Japan). In der vor einigen Monaten erschienenen Broschüre „Die Brüder Grimm. Leben und Wirken. Zusammengestellt und kommentiert von Bernhard Lauer“ ist auf S. 60 der Schreibtisch ungefähr in derselben Präsentationsform wie auf der Expo abgebildet, nämlich so wie oben auf dem Einladungsbild (dieses scheint ein Ausschnitt des Bildes in der Broschüre zu sein). In der Broschüre steht dazu ein vierzeiliger Bildtext, der nachfolgend noch zitiert sei.

Bernhard Lauer schrieb: Die „Märchenwerkstatt“ der Brüder Grimm mit Möbelstücken aus Familienbesitz, den Handexemplaren der Ersten Auflage der Märchen und Jacob Grimms Leseglas; dahinter ein Blick in die Marktgasse aus der Wohnung der Brüder Grimm, die im Haus Nr. 17 unweit der ehemaligen Sonnenapotheke mit der Mutter und vier anderen Geschwistern von 1805 bis 1814 lebten. Elektronische Collage von B. Lauer und Daniel Stein. Kassel, 2005.

Weitere Erläuterungen zu den auf dem Bild gezeigten Möbelstücken sind in der Broschüre nicht enthalten.
Nun frage ich Sie:
Wie würden Sie den Wortlaut des Bildtextes hinsichtlich der Provenienz der Möbelstücke verstehen? Und warum erscheint so eine Collage in der Handreichung des Brüder Grimm-Museums mit diesem Text, wenn nicht um zu suggerieren, man habe hier den Arbeitsplatz vor sich, an dem die Märchensammlung entstanden sei? Übrigens trifft es hier ja nicht zu, daß originale Möbelstücke nicht verfügbar waren. Für die Collage hätte man ja durchaus Bilder wirklicher Grimm-Möbel verwenden können. Offenbar geht es doch aber darum, genau dieses Kasseler Möbelstück im Bildgedächtnis des Rezipienten festzubannen mit der Assoziation, es handle sich um das wichtigste Möbelstück der „Märchenwerkstatt“, das nämlich, an dem die Texte zu Papier gebracht wurden. Insofern trifft hier das, was Rölleke sagte, wohl den Nagel vollkommen auf den Kopf – und so geht es nicht, das ist Irreführung mit der Strategie, daß die Mehrheit der Besucher es nicht so genau wissen will und sich gern so ein Möbelstück in der Annahme anschaut, es handle sich um die „Märchenwerkstatt“, ohne weiter nachzufragen oder gar selbst zu recherchieren. Nicht umsonst sind (bzw. waren) im Grimm-Museum auch die Provenienzen weiterer Exponate auf genau dieselbe verschwommene Weise ausgedrückt (oder gar nicht erst angegeben).

Berthold Friemel, 30. April 2006
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Die HNA zum Rölleke-Vortrag vom 28.April 2006

In der heutigen HNA wird über die Veranstaltung mit Heinz Rölleke berichtet und der Vorgang kommentiert.

Hier zunächst der Bericht:

Grimm-Nachlass für Kassel?
Erben wollen Gegenstände abgeben – Kritik an Grimm-Gesellschaft

KASSEL. Die Brüder-Grimm-Gesellschaft und das Grimm-Museum haben die Chance, einen umfangreichen Nachlass der Brüder Grimm sowie ihrer Nachkommen zu übernehmen. Die Nachlassliste umfasst mehr als tausend Objekte, vornehmlich Möbel und Haushaltsgegenstände, von denen etwa 15 bis 20 Prozent aus dem Besitz von Jacob und Wilhelm Grimm stammen sollen.

Prof. Hans Brinckmann gab das im Auftrag der Initiativgruppe, die einen Neuanfang der Grimm-Gesellschaft versuchen will, in der Vortragsveranstaltung im Hörsaal des Landesmuseums bekannt, in der Prof. Heinz Rölleke heftige Kritik an der derzeitigen Geschäftsführung der Grimm-Gesellschaft übte. Eingeladen zu der außerordentlich gut besuchten Veranstaltung hatte das Kulturnetz in Verbindung mit dem Literaturhaus und der Goethegesellschaft.

Nach Brinckmanns Worten sind die beiden Nachfahren der Brüder Grimm, die über die Nachlass-Gegenstände verfügen, bereit, die Objekte, zu denen Buffets, Bücherschränke, Bücher, Gemälde, asiatisches Porzellan und andere Haushaltsartikel gehören, nach Kassel zu geben. Der Preis stehe noch nicht fest, müsste aber erschwinglich sein. Brinckmann ist auch sicher, dass man die nötigen Gelder mithilfe von Kulturstiftungen und Bürgerengagement aufbringen könne. Wie Dr. Berthold Friemel von der Berliner Grimm-Sozietät ergänzte, würde das Grimm-Museum mithilfe des Nachlasses erstmals im größeren Umfang die Wohnkultur der Grimm-Familie dokumentieren und inszenieren können.

Im Zentrum der Veranstaltung hatte der Vortrag des Märchenexperten Prof. Heinz Rölleke gestanden, der eine Generalabrechnung mit der Grimm-Gesellschaft vornahm. Er warf ihr Fehler und Versäumnisse vor und beklagte – wie schon im Interview unserer Zeitung -, dass die Gesellschaft andere Grimm-Forscher xxxxxxxxx, und dass sie für sich einen Alleinvertretungsanspruch reklamiere.

Die Kritik zielte insbesondere auf Dr. Bernhard Lauer, der Direktor des Grimm-Museums und Geschäftsführer der Grimm-Gesellschaft ist. Lauer, der sich die Kritik geduldig anhörte, meldete nur in einem Punkt Widerspruch an: Er habe den Schreibsekretär, der im Jahr 2000 auf der Expo gezeigt worden war und dessen Bild auch die Einladung zu der Veranstaltung zierte, nicht fälschlich als Schreibtisch der Brüder Grimm ausgegeben. Vielmehr habe er gewusst, dass der Sekretär aus dem Umfeld der Grimms, der Familie Hassenpflug, stammte. Er habe lediglich das Arrangement in der Expo-Vitrine, zu der auch die Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen gehörte, mit Blick auf die Veranstaltung „Märchenwerkstatt“ genannt.

Der leitende Redakteur Dirk Schwarze schreibt dann unter „Kommentar: Einmaliger Vorgang“:

Die Brüder-Grimm-Gesellschaft ist in eine derartige Krise geraten, dass sich die vereinsinterne Opposition andere Kulturgesellschaften als Plattform suchen musste, um ihre massive Kritik öffentlich vorzutragen. Das Kulturnetz bot in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus und der Goethegesellschaft diese Plattform und ermöglichte so diesen einmaligen Vorgang.
Als Anwalt hatte man sich den angesehenen Grimm-Experten Prof.Heinz Rölleke geholt. Der erledigte die ihm übertragene Aufgabe mit großer Sorgfalt. Es war, als würde er ein schier endloses Sündenregister aufblättern. Schnell wurde klar, dass ein Neuanfang nötig ist, wenn dei Grimm-Gesellschaft auch außerhalb Kassels eine Zukunft haben will. Umso mehr verwundert, dass die Generalkritik nicht mit größerer Gelassenheit vorgetragen wurde. Schließlich hätte es gut getan, stärker in die Zukunft zu blicken, wozu die Aussicht, den Grimm’schen Haushaltsnachlass nach Kassel zu holen, genügend Anlass geboten hätte.
Dass Dr.Bernhard Lauer die in vielen Teilen auf ihn gemünzte Kritik ruhig anhörte, forderte selbst seinen Widersachern Respekt ab. Lauer gab damit aber auch zu verstehen, dass er sich weiter dem Kampf um die Führung der Grimm-Gesellschaft stellt.
dsc

Aanzumerken wäre noch, daß die HNA den Bericht mit einem Photo schmückt, auf dem Dr.Lauer, neben einer Plastik der Viehmännin stehend, eine japanische Publikation in die Kamera hält.
Dazu die Unterschrift:
Zuwachs fürs Brüder-Grimm-Museum?
Unser Archivbild zeigt den Leiter des Brüder-Grimm-Museums, Dr.Bernhard Lauer, mit einer japanischen Übersetzung anlässlich der Wanderausstellung „Die Märchenwelt der Brüder Grimm“

Dieser Beitrag wurde vom Forumsadministrator im Hinblick auf die 2008 / 2009 stattgefundene juristische Auseinandersetzung um Äußerungen zu Zugangsverhältnissen für die Wissenschaft im Grimm-Museum Kassel teilweise unlesbar gemacht.

Rudolf Theisen, 1. Mai 2006
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Der Extra-Tip über die kommende Samstagssitzung

Der heutige Extra-Tip berichtet über die bevorstehenden Wahlen am kommenden Samstag

Extra-Tip schrieb:
Grimm und die „Klofrauen“
Am Samstag entscheidende Sitzung der Grimm-Gesellschaft im Kasseler Rathaus

An diesem Samstag fallen wichtige Entscheidungen bei der Brüder Grimm-Gesellschaft in Kassel. Da geht es nämlich um die Neuwahl des Vorstandes. Zur Wahl stehen der frühere Präsident von Kassels Uni, Dr. Hans Brinckmann, der vor allem von Gegnern des bisherigen Museums-Leiters, Dr. Bernhard Lauer, vorgeschlagen wurde.

Von KLAUS BECKER

KASSEL – Unterstützt wird Brinckmann, der zugleich das documenta-Forum leitet vom „Kultur-Netzwerk“ der Kasseler SPD, einer Gründung des früheren OB Wolfram Bremeier. Auch OB Bertram Hilgen hat sich für seinen Parteifreund Brinckmann stark gemacht. Auch stehen im Lager von Brinckmann Mitglieder des Rotary-Clubs in Kassels. Mitglieder, wie Wirtschaftsprüfer Reiner Ludewig und der frühere evangelische Dekan Wittekind haben ihre Clubfreunde aufgefordert der Brüder Grimm-Gesellschaft beizutreten und Hans Brinckmann zu unterstützen. Das ist eine Initiative, die innerhalb der „Service-Clubs“ sofort auf Widerspruch stieß. Die frühere Landtagsabgeordnete Eve Rotthoff äußerte sich in einem Brief an Wirtschaftsprüfer Ludewig und wies darauf hin, dass die „Service-Clubs“ neutral und unparteiisch sein müssen und sich nicht in die Angelegenheiten anderer Vereine und Gesellschaften einmischen sollten. Sie forderte dagegen alle beteiligten Clubs auf, „Objektivität und Neutralität“ zu bewahren.
Im Mittelpunkt der Kontroverse: Der langjährige Leiter des Brüder-Grimm-Museums in Kassel, Dr. Bernhard Lauer. Letzter Punkt der Kampagne war ein Artikel, der im letzten „Spiegel“ erschien. Dr. Lauer wurden darin zahlreiche Vorwürfe gemacht, er habe Publikationen angekündigt, die noch gar nicht erschienen seien. Im üblichen „Spiegel-Stil“ wurde Lauer als eine Art von „Hochstapler und Aufschneider“ abgekanzelt. Ein Artikel, der jedoch auch bei Politikern nicht unbedingt Begeisterung auslöste. Denn dort hieß es auch: „Vitrinenwächter und Klofrauen“ seien in dem „Akademischen Club“ aufgenommen worden. Vorgeworfen wurde Lauer auch, dass er zu enge Kontakte zur mittelständischen Wirtschaft in Kassel pflege, zum Beispiel zur Brauerei „Knallhütte“, deren enge Bindung an das Lebenswerk der Brüder Grimm den Spiegel-Schreibern offensichtlich nicht bekannt ist. Unbekannt war bisher auch, dass die Brüder Grimm-Gesellschaft, zu der seit vielen Jahren besonders engagierte Bürger aus Kassel gehören, die einst vom Kasseler Verleger Karl Vötterle gegründet wurde, ein „Akademischer Club“ sein soll.
Angesichts der immer heftiger werdenden Attacken in der Brüder Grimm-Gesellschaft hat sich inzwischen ein anderer Kandidat für die Präsidentschaft gemeldet. Der Berliner Unternehmer Dieter Staubach, der seit vielen Jahren engagierte Förderer der Berliner Kulturszene, und durch familiäre Bindungen eng an Nordhessen gebunden. Er lehnt eine parteipolitische Ausrichtung der Brüder Grimm-Gesellschaft entschieden ab und möchte die Grimm-Gesellschaft weiter als Treffpunkt für Grimm-Begeisterte aus allen Regionen und Generationen über alle Parteigrenzen hinaus erhalten. Nach den heftigen, teils hasserfüllten Debatten in Kassel, hat der Kandidat aus Berlin am Samstag die Chance, sich endlich dem Kasseler Publikum vorzustellen.

Rudolf Theisen, 3. Mai 2006

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Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel
Grimm-Städte und Grimm-Stätten
(Grimmforum, April 2006)

Zu den mir zugesandten Unterlagen für die Mitgliederversammlung der Brüder Grimm-Gesellschaft am 6. Mai möchte ich hier im Forum Stellung nehmen, zumal ich an der Versammlung in Kassel nicht teilnehmen kann. Meine Stellungnahme wird relativ lang sein, und ich bitte dafür um Verständnis: der Sachverhalt ist vielschichtig und nach meiner Überzeugung für die Zukunft der Grimmforschung und die Pflege des Grimmerbes entscheidend, und zwar nicht nur in Kassel, sondern darüber hinaus. Ich hoffe, daß Andere, ob nun Mitglieder der Grimm-Gesellschaft oder nicht, auch diese Möglichkeit des Forums (weiterhin) nutzen werden, um sich zu informieren und auszutauschen.
Zunächst aber kurz zur Person: als neuseeländischer Germanist beschäftige ich mich seit 30 Jahren mit den Brüdern Grimm, insbesondere mit ihrer Arbeit am Deutschen Wörterbuch. Ich bin seit mehr als 20 Jahren Mitglied der Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel. Zur Zeit arbeite ich an einem umfangreichen Grimm-Briefwechsel für die „Berliner“ Briefausgabe. Daß ich in „Berlin“ mitarbeite, hat drei hauptsächliche Gründe: 1. das Herausgeberkollegium hat mich dazu eingeladen; 2. in Berlin habe ich Zugang zu großen historischen Bibliotheken mit den für meine Arbeit wichtigsten Dokumenten und Archivalien einschl. des Grimm-Nachlasses und der Grimm-Bibliothek; 3. in der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel an der Humboldt-Universität wird meine Arbeit selbstlos und sachkundig mit Rat und Tat unterstützt – eine bessere Forschungsstätte könnte ich mir als Grimmforscher nicht wünschen, weder menschlich noch wissenschaftlich.
Sodann zu „Kassel“. Über die Entwicklungen des letzten Halbjahrs bin ich sehr enttäuscht, ja entsetzt. Ich kann sie aus eigener Erfahrung nicht so richtig beurteilen, sondern bin auf Zusendungen des Gesellschaftsvorstands, Presseberichte, Informationen aus zweiter Hand, und Foren wie dieses und das HNA-Forum angewiesen. In letzterem ist dieses Thema offensichtlich auf wohl einmaliges Interesse gestoßen. Ich möchte dreierlei unterscheiden, und d.h. zugleich, daß ich der Überzeugung bin, daß diese drei Bereiche auf jeden Fall von der Sache her differenziert und auch strukturell getrennt zu betrachten und zu behandeln sind:
1. Die Bemühungen in Hessen, die Brüder Grimm stärker zur Geltung zu bringen, ja – wie mir scheint – sie touristisch einzusetzen und zu vermarkten. Dazu möchte ich nichts sagen.
2. Das Brüder Grimm-Museum in Kassel: Dies ist für mich DAS Grimm-Museum – oder müßte es sein. Dabei übersehe ich keineswegs andere Grimmstätten wie Haldensleben, Hanau oder Steinau oder andere Museen mit Grimmexponaten wie in Nürnberg. Auf das Museum als Forschungsstätte komme ich an anderer Stelle zurück. Über das Museum bin ich nur aus zweiter Hand informiert, aber es scheint erstens zu klein zu sein, sind doch z. B. viele Bücher und Nachlaßmaterialien ausgelagert und schwer zugänglich; zweitens nur außen an der Fassade und oben am Dach saniert zu sein, nicht jedoch innen, wo die ganzen Leitungen liegen (muß ich an die Anna Amalia erinnern?); und drittens scheint die Ausstellungspraxis, z. B. falsche oder irreführende Schilder, stark ins Kreuzfeuer der Kritik geraten zu sein. Es ist ein städtisches Museum, die Stadt Kassel ist also als Instanz gefordert, wohl durch das Kulturamt vertreten? In der Presse stand vieles über eine Neugestaltung der Kasseler Museumslandschaft; das BGM gehört doch wohl in diesen Kontext? Aber, wie gesagt, m.W. ist das eine städtische Einrichtung und deshalb in erster Linie eine städtische Angelegenheit, während die Brüder Grimm-Gesellschaft ein privater Verein und deshalb ganz etwas anderes ist. Damit bin ich beim eigentlichen Thema.
3. Die Brüder Grimm-Gesellschaft: hier fühle ich mich als langjähriges Mitglied direkt angesprochen. Da liegt mir sehr viel am Herzen. Ich bin jetzt vor allem auf Grund der Versammlungsunterlagen zum Schluß gekommen, daß es so nicht weitergehen kann und darf, sondern daß ein Neuanfang unbedingt erforderlich ist. Die Fortführung des Beitrags, die auf Details der vom Vorstand der Grimm-Gesellschaft übersandten Unterlagen zur Mitgliederversammlung einging, wurde vom Administrator nicht mit in die 2020 wiederhergestellte Version des Forums übertragen.

Alan Kirkness, 18. April 2006

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Grimm-Städte und Grimm-Stätten

In diesem zweiten Forumbeitrag als Mitglied der Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel geht es mir um die Gesellschaft als „internationale wissenschaftliche Gesellschaft“ und um Aspekte ihrer durch die gegenwärtige Satzung vorgegebenen wissenschaftlich-inhaltlichen Tätigkeit. Meiner Meinung nach ist diese Satzung revisionsbedürftig, aber sie ist für die bevorstehende Mitgliederversammlung gültig und verbindlich. Zunächst einige Anmerkungen zu Grimm-Städten und -Stätten.
Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm haben bekanntlich in verschiedenen deutschen Städten gelebt und gearbeitet, von Hanau, Steinau, Marburg und Kassel bis Göttingen und Berlin. Diese Städte bewahren ihnen in verschiedener Weise ein ehrendes Andenken, und es lohnt sich kurz darauf einzugehen. Hanau und Steinau dürfen sich seit kurzem offiziell als „Brüder Grimm-Stadt“ bezeichnen; Grimm-Interessierte können in Hanau das Historische Museum im Schloß Philippsruhe und in Steinau die Ausstellungen im Schloß und im Amtshaus besuchen; die Stadt Hanau verleiht auch einen Brüder-Grimm-Preis. In Marburg sind zu finden das Haus der Romantik und das Hessische Staatsarchiv mit seinem umfangreichen Nachlaßbestand, der durch das Verzeichnis von Werner Moritz erschlossen wird. Die Universität Marburg verleiht seit langem einen Brüder-Grimm-Preis und will jetzt eine Grimm-Professur etablieren. Kassel zeichnet sich z. B. durch das Brüder Grimm-Museum, die 1897 erstmals gegründete Brüder Grimm-Gesellschaft und die Murhardsche Bibliothek aus, in denen viele bedeutende Grimm-Autographen, Archivalien und Exponate aufbewahrt sind. Kassel ist ebenfalls Sitz der Brüder Grimm-Stiftung, und an der Universität Kassel ist eine Grimm-Professur bereits fest etabliert. Das Land Hessen will jetzt sein Konzept „Hessen – Land der Brüder Grimm“ in die Tat umsetzen. In der Akademie der Wissenschaften in Göttingen wird an der Neubearbeitung des Grimmschen Deutschen Wörterbuchs gearbeitet, und die Universitätsbibliothek besitzt u.a. wertvolle Grimm-Manuskripte. In Berlin sind zu finden erstens die durch das Annotierte Verzeichnis von Ludwig Denecke und Irmgard Teitge erschlossene Bibliothek der Grimms in der Bibliothek der Humboldt-Universität, die künftig in einen Neubau umziehen soll, das „Jacob und Wilhelm Grimm-Zentrum“; zweitens der sehr umfangreiche Nachlaß der Brüder Grimm in der Staatsbibliothek, dessen Bestand von Ralf Breslau katalogisiert wurde; drittens die Arbeitsstelle des Deutschen Wörterbuchs in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit ihrer hervorragenden Spezialbibliothek für historische Lexikologie und Lexikographie; viertens die Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel an der Humboldt-Universität, die u.a. ein grundlegendes Verzeichnis der Briefe von und an die Brüder Grimm ins Netz gestellt hat. Die Stadt ist außerdem Sitz einer 1991 gegründeten Grimm-Sozietät zu Berlin, und das Land Berlin verleiht auch einen Brüder-Grimm-Preis. Hinzu kommen nicht zuletzt Bücher, Bilder und andere Gegenstände aus dem Besitz der Familie Grimm in Bad Homburg, Haldensleben, Nürnberg und Schlüchtern, wobei ich von Märchenstraßen und Märchenburgen ganz absehe.
Vielfalt, Reichweite und Bedeutung dieser Einrichtungen, Aktivitäten und Bestände etc. sind erstaunlich. Ein Netzwerk von Grimm-Städten und -Stätten erstreckt sich über das nördliche Deutschland, es ist ein aus vielen verschiedenen Komponenten zusammengesetztes Grimm-Mosaik. Es ist zugleich der Kontext, in den m. E. die Programmdiskussion und insbesondere die Personalwahlen auf der Mitgliederversammlung der Gesellschaft am 6. Mai 2006 gehören und der meine Stimmabgabe als Mitglied begründen würde, könnte ich an der Versammlung teilnehmen. Folgende Gesichtspunkte sind mir mit Blick auf die Diskussion und die Wahlen wichtig:
Erstens, die Gesellschaft in Kassel sollte sich nach meiner Überzeugung als eine Komponente des Grimm-Mosaiks verstehen, und zwar als eine bedeutende. Keinesfalls aber als die führende, dies steht m. E. der Gesellschaft in Anbetracht der vielen anderen bedeutenden Komponenten nicht zu. Ich bin dafür, daß die Gesellschaft laut Satzung der Pflege und Förderung deutscher Kultur dient u. a. „durch Förderung des Ausbaues des Brüder Grimm-Museums“ (§2.3). Ich bin dagegen, daß „die Brüder Grimm-Gesellschaft … ihre Hauptaufgabe darin sehen [muß], das Brüder Grimm-Museum Kassel zu einer zentralen Sammlungs-, Dokumentations- und Forschungsstätte auszubauen und von hier aus die nationalen und internationalen Aktivitäten zu koordinieren und zu vernetzen“ (Anlage 1). Erstens kann dies gemäß der Satzung nicht die Hauptaufgabe der Gesellschaft sein, und zweitens wäre sie nach bisheriger Erfahrung hierdurch überfordert. Ich bin entschieden dagegen, daß das Museum „zur zentralen Sammlungs-, Dokumentations- und Forschungsstätte“ (Anlage 1. 1) ausgebaut werden soll, d.h. im Klartext: zu DER Stätte (jetzt mit bestimmtem Artikel, vgl. den früheren unbestimmten Artikel!). Dagegen spricht vieles, zumal wenn man sich einerseits an die immer wiederkehrenden Klagen über die mangelnde Personal- und Sachaustattung von Seiten der Museumsleitung und andererseits an die vielen bereits vorhandenen Grimm-Stätten erinnert. Dagegen spricht aber hauptsächlich und grundsätzlich, daß dies eine m.E. völlig unzulässige und inakzeptable Verquickung von (städtischem) Museum und (privater) Gesellschaft bedeutet, wie ich in meinem früheren Forumbeitrag ausgeführt habe. Unter diesem Gesichtspunkt scheinen mir die Vorstellungen der „Initiativgruppe“ (Anlage 2) viel realistischer und zukunftsträchtiger zu sein als die Forderungen etwa in Anlage 1, die diese Verquickung nur noch fester zementieren wollen. Ich halte diese Forderungen für unrealistisch und unrealisierbar. Wenn ich sie an dem messe, was in den letzten 10 bis 12 Jahren tatsächlich geleistet worden ist, erscheinen sie mir völlig illusorisch. Was die in §2.3. der Satzung erwähnten Gedenkstätten in Hanau, Schlüchtern und Steinau anbelangt, so wäre es m.E. vor allem Sache dieser Einrichtungen, über ihr Verhältnis zur Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel zu entscheiden. Hier wäre ich auch für eine Satzungsänderung, die andere, nicht nur hessische Grimm-Stätten kooperativ miteinbeziehen würde. Somit komme ich zum zweiten Punkt.
Zweitens, die Gesellschaft sollte im Interesse der Pflege und Förderung deutscher Kultur im Geiste der Brüder Grimm mit den vielen anderen Grimm-Städten und -Stätten kooperieren wollen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß in jüngerer Zeit die Gesellschaft, wie sie durch den Vorstand vertreten wird, andere Grimmstätten eher als Konkurrenz betrachtet und behandelt hat. Dies gilt auf jeden Fall für die Grimm-Sozietät zu Berlin, gegen die sogar ein m.E. völlig unbegründeter und überflüssiger Gerichtsprozeß geführt wurde. Ich kann mich auch des Eindrucks nicht erwehren, daß in jüngerer Zeit die Gesellschaft, vertreten durch den Vorstand, einen Monopolanspruch auf die Grimm-Forschung zu erheben versucht hat. Dies gilt auf jeden Fall für die gescheiterten Verhandlungen zwischen den Sprechern des Herausgeberkollegiums, das die „Berliner“ Briefausgabe betreut, und dem Vorstand der Gesellschaft, die für die Kasseler Werk- und Briefausgabe verantwortlich ist. Doppelte Mitgliedschaften in Kassel und Berlin sind in Kassel unerwünscht (Beschluß des Vorstands? der Geschäftsführung? einer Mitgliederversammlung?) – warum eigentlich? Früher war dies anders, was m.E. der Gesellschaft gut anstand und der Grimm-Forschung förderlich war. Wie dem auch sei, Konkurrenzdenken und Monopolanspruch lehne ich ab. Ich unterstütze jede Kooperation zwischen Grimm-Stätten als gleichwertigen Partnerinstitutionen. Wiederum unterstütze ich deshalb die „Initiativgruppe“, die diesen Punkt als den ersten der wichtigsten Punkte der zukünftigen Arbeit anführt (Anlage 2). Auf Grund bisheriger Erfahrungen bin ich in diesem Punkt gegenüber Anlagen 1 und 4.2. äußerst skeptisch.
Drittens, die Gesellschaft sollte, entsprechend §2.2. der Satzung, der Pflege und Förderung deutscher Kultur „durch Veröffentlichungen – insbesondere durch eine kritische Gesamtausgabe des Werkes der Brüder Grimm … – dienen. Dieser Punkt ist ganz zentral. Auf die Veröffentlichungen des Brüder Grimm-Museums gehe ich nicht ein, denn sie gehören nicht hierher.
An erster Stelle steht die „Kasseler“ Ausgabe. Bis jetzt sind drei Bände erschienen. Einer konnte sich auf bedeutende, schon publizierte Vorarbeiten stützen; zwei wurden aus den handschriftlichen Quellen neu erarbeitet. Diese beiden sind in jeder Hinsicht vorzüglich. Kritische Ausgaben sind schwierige und langwierige Unternehmen, bei denen immer mit unvorhergesehenen Verzögerungen gerechnet werden muß. Dies dürfte unbestritten sein, und es gilt für die „Berliner“ wie für die „Kasseler“ Ausgabe. Dies aber vorausgesetzt, sind m.E. drei erschienene Bände wenig, zu wenig. Weitere Bände sind angekündigt, weitere wohl geplant. Die „Ankündigungspraxis“ der Gesellschaft wird in diesem und im HNA Forum mit Recht heftig kritisiert. In der Fachöffentlichkeit schadet sie dem Ansehen der Gesellschaft als wissenschaftlicher Institution enorm. Ich hoffe, daß auf der Mitgliederversammlung dem Vorstand und/oder den Bandbearbeitern folgende Fragen gestellt werden: Was ist der genaue Bearbeitungsstand der angekündigten Ausgaben, die jetzt schon mit ISBN-Nummern und Seitenzahlenangaben versehen, aber nicht erhältlich sind? Was ist der genaue Termin, der für ihre Veröffentlichung vorgesehen ist? Welche Bände sind gegenwärtig in Vorbereitung und wann ist mit ihrem Fertigstellen und Erscheinen zu rechnen? Welche Bände sind in der Planung? Ich hoffe, daß die Fragenden sich nicht mit vagen Angaben oder gar Andeutungen abspeisen lassen, sondern auf ganz konkreten, verbindlichen Antworten bestehen werden. Eine weitere Frage, die an Kandidaten aus beiden Wahlisten zu stellen ist, lautet: Wie soll es zukünftig weitergehen, und wie soll aus Ihrer Sicht das künftige Verhältnis zwischen der „Kasseler“ und der „Berliner“ Ausgabe aussehen bzw. gestaltet werden?
Die zweite hauptsächliche Veröffentlichung der Gesellschaft ist das Jahrbuch. Es erschien früher regelmäßig und zeichnete sich m. E. durch wertvolle wissenschaftliche Beiträge zum Leben und Werk der Brüder Grimm und eine sehr willkommene Grimmbibliographie aus. Es hat m.E. diesen Standard nicht halten können und erscheint inzwischen sehr verspätet. War das Jahrbuch X 2000 (2005 erschienen) noch ein stattlicher Band, faßt der letzterschienene Band XI-XII zwei Jahre 2001-2002 zusammen. Im Umfang und vor allem inhaltlich ist er aber alles andere als eine Doppelnummer. Ich bedauere diese Entwicklung sehr, und sie kann oder darf so nicht weitergehen. Ich teile nicht die diesbezügliche Meinung des Wissenschaftlichen Rats und lehne deshalb Punkt 3. seiner Resolution vom 4. März 2006 ab (Anlage 4). Ich unterstütze dagegen den folgenden Punkt im Schreiben der „Initiativgruppe“ (Anlage 2): „Die BGG soll die seit 2001/02 abgebrochene Tradition der Jahrbücher neu beleben und ihre Publikationstätigkeit in allen Medien auf die heutigen Anforderungen ausrichten“. Wobei ich anwesende Mitglieder bitte, wie bereits gesagt, Vertreter der „Initiativgruppe“ zu fragen, wie sie die „Kasseler“ Ausgabe und deren Zukunft sehen. Anlage 2 enthält leider keine konkreten Informationen hierzu, obwohl die „Kasseler“ Ausgabe für das wissenschaftliche Profil und Ansehen der Gesellschaft ganz maßgeblich ist.
Viertens, die Gesellschaft sollte sich als erstes darum bemühen, daß die unterschiedlichen Grimm-Bestände in Kassel möglichst bald inventarisiert, erschlossen und öffentlich zugänglich gemacht werden. Ich habe keine Informationen darüber, was genau zum Bestand der (Murhardschen) Bibliothek, der Gesellschaft oder des Museums gehört, oder über den Verbleib der alten Kasseler Grimm-Sammlung . Dies müßte m. E. geklärt werden. Unbedingt erforderlich ist auf jeden Fall, daß die Bestände – wo auch immer sie im einzelnen hingehören mögen – erschlossen werden. Als Forschungsstätte fällt Kassel im Vergleich zu Marburg (Moritz) oder Berlin (Breslau, Denecke/Teitge) sehr negativ auf, indem m.W. kein Verzeichnis oder Katalog öffentlich verfügbar ist. Dies ist eine unerlässliche Voraussetzung für sinnvolle wissenschaftliche Arbeit. Vielleicht könnte das Land Hessen, wenn es die Umsetzung seines Strategie-Konzepts „Hessen – Land der Brüder Grimm“ ernst nimmt, hierfür die notwendigen Mittel bereitstellen, so daß die Bestände in Kassel, ebenfalls in Bad Homburg, vielleicht auch Schlüchtern und anderswo, endlich erschlossen und verzeichnet werden. Am besten wäre dies als Online-Datenbank zu gestalten, die dann mit den zu digitalisierenden Katalogen und Verzeichnissen anderer Grimm-Stätten verlinkt werden könnte. Eine solche vernetzte Datenbank als virtuelle Zentralstelle für die Grimm-Forschung wäre ein anstrebenswertes und technisch realisierbares Ziel. Daß die Kasseler Bestände ohne Wenn und Aber allen Grimm-Forschern zugänglich gemacht werden, ist eine Selbstverständlichkeit. Daß dies jedoch in der jüngeren Vergangenheit xxxxx immer xxxx xxx xxxxxxx der Fall gewesen zu sein scheint, wie aus Forenbeiträgen hervorgeht, xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxx. Hier sind m. E. auf der Mitgliederversammlung dem bisherigen Vorstand harte Fragen zu stellen, die eine Antwort verlangen. Hier tut eine neue, ganz andere Praxis bitter not.
Ich lasse es bei diesen vier Punkten bewenden. Von solchen wissenschaftlichen Gesichtspunkten würde ich meine Stimmabgabe bei den Personalwahlen am 6. Mai herleiten. Es dürfte mehr als deutlich sein, daß meiner Überzeugung nach nur ein Bruch mit der bisherigen Praxis und ein kooperativer Neuanfang die Brüder Grimm-Gesellschaft aus der jetzigen Misere und aus dem Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik führen wird, so daß sie sich auf ihre wissenschaftlichen Aufgaben konzentrieren kann. Hierfür bietet aus meiner Sicht die Information und der Wahlvorschlag der „Initiativgruppe“ viel überzeugender Gewähr, als die Beschlußanträge, Resolutionen und Wahlvorschläge des bisherigen Vorstands und des Wissenschaftlichen Rats. Ich unterstütze deshalb das skizzierte Programm und die Wahlvorschläge der „Initiativgruppe“. Auf die zur Wahl stehenden Einzelpersonen gehe ich mit einer Ausnahme nicht ein, denn dies gehört m. E. nicht hierher, sondern auf die Mitgliederversammlung. Die Ausnahme ist Herr Dieter Staubach, Berlin, der als Präsident vorgeschlagen worden ist (Anlage 3). Über Herrn Staubach, Berlin, habe ich trotz ernsthaften Bemühens überhaupt nichts ermitteln können? Offen gestanden, ist mir alles an diesem Wahlvorschlag rätselhaft, ja suspekt. Hoffentlich bringt die Mitgliederversammlung auch hier, wie sonst, die erforderliche Klärung, denn eine ähnlich mißglückte Versammlung wie die letzte im November 2005 kann sich die Gesellschaft m. E. auf keinen Fall leisten.
Dieser Beitrag wurde vom Forumsadministrator im Hinblick auf die 2008 / 2009 stattgefundene juristische Auseinandersetzung um Äußerungen zu Zugangsverhältnissen für die Wissenschaft im Grimm-Museum Kassel teilweise unlesbar gemacht.


Alan Kirkness, 24. April 2006

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Berliner Arbeitsstelle zu Kasseler Reformbemühungen
Benutzbarkeit der Kasseler Sammlungen
(Grimmforum, März 2006)

Mitglieder der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel an der Humboldt-Universität zu Berlin haben sich kürzlich zu den Bemühungen um eine Reform der Brüder Grimm-Gesellschaft und des Brüder Grimm-Museums in Kassel geäußert:

Die Bemühungen um Reformen und eine Neuorganisation der Kasseler Grimm-Verhältnisse finden wir unbedingt unterstützenswert. Kassel ist eines der Zentren der Grimm-Überlieferung und der Grimm-Forschung. Es liegt im Interesse aller Interessierten, daß die große Kasseler Tradition auf einem hohen Niveau weitergeführt wird. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die neuen Kasseler Grimm-Strukturen und ihre Vertreter ihre wichtige Rolle bei der gleichberechtigten und fairen Zusammenarbeit der mit den Brüdern Grimm befaßten Institutionen und Personen spielen würden. Eine der unseres Erachtens dafür nötigen Voraussetzungen ist es, daß die von der Brüder Grimm-Gesellschaft betreuten Buch- und Archivbestände so zugänglich gemacht werden, wie es bei anderen Sammlungen dieser Art selbstverständlich ist.✍

Grimm-Briefwechsel Berlin, 3. März 2006
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Zur Benutzbarkeit der Kasseler Grimm-Sammlungen während der letzten Jahre
Kassel besitzt mittlerweile zum zweiten Mal bedeutende Grimm-Sammlungen. Ein überwiegender und unersetzlicher Teil der alten Kasseler Grimm-Sammlung aber ist nach wie vor kriegsbedingt verschollen. Dies wiegt umso schwerer, als aus diesem verschollenen Teil der Sammlung nur ein verhältnismäßig geringer Anteil veröffentlicht wurde, das Gesammelte also nicht im historischen Gedächtnis verblieb, sondern sich zunächst an einem verborgenen Ort konzentrierte und dann mit diesem gelöscht wurde. Das Schicksal der ersten Kasseler Grimm-Sammlung läßt sich sinnbildhaft auf die in Kassel nach 1945 neu entstandenen Sammlungen beziehen. Der Besitz solcher Bestände verpflichtet dazu, alle Sorgfalt bei der sachgemäßen Verwahrung walten zu lassen, die Bestände der Erschließung und Publizierung zu öffnen und sich in erster Linie als treuhänderischer Sachwalter in der Überlieferungskette dieser Unika zu betrachten.

Unter den genannten Aspekten sind zu denjenigen Kasseler Grimm-Beständen, für die die Brüder Grimm-Gesellschaft Verantwortung trägt, kritische Anmerkungen angebracht. Klagen, daß der Zugang zu diesem Teil der Kasseler Sammlungen sich während der letzten 10 bis 15 Jahre sehr erschwert hat, kann man allenthalben hören, und es ist höchste Zeit, daß Abhilfe geschaffen wird. Bis in die erste Hälfte der 90er Jahre erfolgte der Zugang zu den im „Archiv“ des Brüder Grimm-Museums untergebrachten Beständen auf Grundlage eines Merkblatts, das sich sinnvoll an dem in Bibliotheken und Archiven üblichen Standard orientierte. Auf dieser Grundlage habe auch ich Anfang der 90er Jahre einige sehr ergebnisreiche Arbeitstage in den Räumen im Hochparterre der Murhard-Bibliothek verbracht, an die ich gern zurückdenke. Ab ca. 1993 / 94 wurde anreisenden Benutzern dann eine neue Benutzungsordnung vorgelegt, gemäß der pro Tag und Person nur noch 10 einzelne Stücke der Autographensammlung eingesehen werden konnten. Da die Autographen aus den Räumen der Murhard-Bibliothek an einen anderen Ort verbracht worden waren, sahen sich Benutzer zusätzlich mit logistischen, versicherungstechnischen und personellen Begründungen konfrontiert, die eine Benutzung der Bestände über die besagte Mengenbeschränkung hinaus komplizierten. Es kam auch zu Andeutungen, der Zugang könne noch weiter eingeschränkt oder untersagt werden, wenn wissenschaftliche Projekte unabhängig von denen der Kasseler Grimm-Gesellschaft weiterbetrieben und nicht nach deren Wünschen dort integriert würden. Meines Wissens ist es glücklicherweise allerdings nicht dahin gekommen, daß diese Andeutungen in die Praxis umgesetzt wurden.

Zu einer offiziellen Nachfrage wegen der eingetretenen Benutzungsbeschränkungen bei der Sadt Kassel, die wir nach dem Rat und Wunsch des Museumsleiters stellten, erhielten wir von diesem selbst am 15. September 1994 die briefliche Auskunft, daß wegen der schwierigen räumlichen und personellen Situation des Brüder Grimm-Museums verschiedene Sammlungsbestände hätten ausgelagert werden müssen, da keine Perspektive einer räumlichen Ausdehnung in der Murhard-Bibliothek bestehe. Dies bedeute, daß einige Sammlungsgruppen (Skulpturen, Gemälde, Autographen, Nachlässe, Sammlung Hausrat, Trivialzeugnisse, Teile der graphischen Sammlung u. a.) nur noch eingeschränkt benutzbar seien. „Von meinen (wenigen) Mitarbeitern, unter denen nur eine einzige Ganztagskraft ist, kann ich jedoch nicht erwarten, ständig Transporte zwischen nunmehr bereits drei verschiedenen Standorten zu organisieren.“

Diese Argumentation wirft Fragen auf. Ebenso — und zwar in sehr grundsätzlicher Weise — bereits die damalige Entscheidung zur Auslagerung der Sammlungsbestände, wobei zudem zu beachten wäre, daß ein erheblicher und besonders kostbarer Anteil davon ursprünglich von Bibliotheksseite zur Verfügung gestellt wurde und der Abtransport aus dem Bibliotheksgebäude auch aus diesem Grund fragwürdig war. Welche Priorität räumten die seinerzeit Verantwortlichen der sachgemäßen Unterbringung und der Zugänglichkeit der von ihnen betreuten Sammlungen ein? Wenn die getroffenen Entscheidungen sich rückschauend als der Benutzbarkeit abträglich herausstellen, was sind dann die Motive gewesen, gleichwohl so zu entscheiden? Ist es eine abwegige Vermutung, die Sammlungsbestände seien zum Spielball taktischer Interessen gemacht worden? Welche Strategie stand im einzelnen dahinter? Lassen diese und jene sich mit den Grundsätzen eines verantwortlichen Umgangs mit solchen Beständen, wie sie Standard in Bibliotheken, Museen, Archiven usw. sind, vereinbaren? Ist es nicht so, daß die Ausstrahlung Kassels als Grimm-Stadt sich erstens nach den Ausstellungen des Grimm-Museums und zweitens nach den einzigartigen Grimm-Beständen bemißt (die Reihe läßt sich fortsetzen)? Sind die Grimm-Bestände derzeit ihrem Potential entsprechend wirksam, oder werden sie trotz (und dann gewissermaßen auch wegen) der in den letzten Jahren durch neue Erwerbungen vorgenommenen Ausdehnung allmählich zum bloßen Mythos, weil es nicht — oder zumindest einem Teil der daran interessierten Wissenschaftler nicht — möglich ist zu ermitteln, welche Quellen zu einzelnen Forschungsgebieten sich tatsächlich in den Beständen befinden? Sind die Sammlungen überhaupt zur Zeit so verwahrt, daß sich der Zustand und die Vollständigkeit jederzeit überprüfen lassen? Welche Schritte müßten gegangen werden, damit ein normaler, den üblichen Standards entsprechender Archivbetrieb gewährleistet werden kann? Ist das Museum fachlich und personell der richtige Ort dafür? Sollte ein anderer Ort gewählt werden, der über die erforderlichen Kompetenzen und Kapazitäten der archivischen und bibliothekarischen Arbeit bereits verfügt, nachdem mehr als zehn Jahre in mehreren Etappen eine Verschlechterung vorgegangen ist? Oder sind die Grimm-Bestände es der Stadt Kassel und der Brüder Grimm-Gesellschaft wert, für sie eine eigenständige, funktionierende Institution zu schaffen? Wie kann dann gleichwohl das Verhältnis zur Bibliothek gestaltet werden, aus deren Beständen sich so immens vieles in den fraglichen Sammlungen befindet, und wie das zum Museum? Wann kann die Grimm-Forschung damit rechnen, daß die im Verantwortungsbereich der Brüder Grimm-Gesellschaft befindlichen Bestände zu regelmäßigen Öffnungszeiten zuverlässig und in ihrer Gesamtheit so zugänglich gemacht werden, wie es andere ähnliche Institutionen (auch in Kassel) selbstverständlich leisten?

Berthold Friemel, 7. März 2006

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Initiativgruppe zur Reform der Grimm-Gesellschaft Kassel,
Zwischenbilanz zu Kassel
(Grimmforum, Februar 2006)

Zwischenbilanz zu Kassel

Das Wochenende bietet etwas Zeit, um Eindrücke zu sammeln, was sich bei dem interessanten Grimm-Kassel-Thema im Lauf von acht bis zehn Tagen entwickelt hat. Am wichtigsten scheint mir, dass es jetzt überregional diskutiert wird, was seiner nationalen und auch internationalen Relevanz entspricht. Über kurz oder lang zeigt sich das natürlicherweise auch in den Massenmedien. Denn es geht um das Brüder Grimm-Museum überhaupt, dem Ruf und den in Kassel vorhandenen Beständen nach. Dass es beidem zur Zeit nicht gerecht wird, ist Teil des Problems, das jetzt diskutiert wird.

In Museums- wie Wissenschaftskreisen steht das Kasseler Grimm-Museum ohnehin im Zwielicht, vorsichtig gesagt. Museumsleute schütteln die Köpfe über das Ausstellungsgebaren, beispielsweise weil Reproduktionen aus fremden Beständen einfach Schildchen mit Grimm-Museums-Signaturen bekommen, als handele es sich um eigenen Besitz; und dies in einem Haus, das so weitgehend zu xxxxxxxxxx sucht, dass andere die dort vorhandenen Bestände auch nutzen können (striktes Fotoverbot im Museum/ Ablehnung, Autografen und ähnliches als Kopien oder Fotos für fremde Projekte herauszugeben). Von Wissenschaftlern werden mehr oder weniger offen mafiaartige Verhältnisse um das Grimm-Museum kritisiert (wie erzählt wird, gehörte zum Kasseler Repertoire beispielsweise, Forscher/Innen, die wegen eines Grimmprojekts mit den Kasseler Grimm-Beständen arbeiteten, in das Direktorzimmer zu bitten und ihnen mitzuteilen, entweder müssten sie das Projekt bei dem Kasseler Museumsdirektor zu dessen Bedingungen ansiedeln, oder er würde ein analoges Projekt in Kassel selbst installieren).

Im Grimmforum entstand die stolze Liste von mittlerweile sieben meist sehr umfangreichen Scheinveröffentlichungen, die garnicht erschienen sind, vom Kasseler Grimm-Museum bzw. dessen Direktor aber (meist mit Angaben über Bestellmöglichkeiten, Anzahl der Seiten und Abbildungen) bibliografisch bekanntgemacht wurden, siehe den entsprechenden Beitrag.

Auch die lokale Debatte in Kassel geht weiter, wie sich am Leserforum der „Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen“ ablesen lässt, http://forum.hna.de/forum/viewtopic.php?id=800&p=4. Dabei werden vor allem die örtlichen Verhältnisse in Kassel diskutiert, etwa eine fragwürdige Besuchsstatistik, die während der Woche in dem als Grimm-Fachblatt schon bekannten „Extra-Tip“ erschien, oder lokalpolitische Sichtweisen, da in Kassel eine Kommunalwahl bevorsteht und den verantwortlichen Politikern der beiden großen Parteien nachgesagt wird, sie versuchten, das Grimm-Thema nicht als den Skandal erscheinen zu lassen, der es eigentlich ist, weil beide Parteien für die Missstände Verantwortung tragen und eine zu engagierte Diskussion wohl beiden schaden dürfte.

Derjenige, an dem sich die Kritik während der letzten Wochen vor allem festmacht (seit es in der Kasseler Grimm-Gesellschaft durch einen zum Scheitern gebrachten Kompromiss zu einer Spaltung des bisherigen Vorstands kam), zieht es vor, die Debatten auszusitzen und sich möglichst wenig zu äussern. Die „Frankfurter Rundschau“ zitierte am Mittwoch eine Pressemitteilung von und ein Gespräch mit Dr. Lauer, noch? Geschäftsführer der Grimm-Gesellschaft und Leiter des Grimm-Museums Kassel. Immerhin dementiert er hier, nach anderthalb Wochen, seine angebliche Entdeckerrolle bezüglich aufgefundener Grimm-Handexemplare: „Ich beanspruche nicht für mich, die Bücher entdeckt zu haben“. Der Frage, wie die Veröffentlichung im Kasseler „Extra-Tip“ mit der Entdeckungsbehauptung zustandekam, wie allen anderen kritischen Fragen weicht der Museumschef nach wie vor mittels vornehmer Zurückhaltung aus (von den noch gar nicht öffentlich aufgeworfenen weiteren Themen und den dazu zu stellenden Fragen ganz abgesehen). Von einem „Streit, den Dr. Bernhard Lauer, Geschäftsführer der Brüder-Grimm-Gesellschaft und Direktor des Grimm-Museums in Kassel als eine Schmutzkampagne einstuft, die er nicht kommentieren will“, schrieb am 3. 2. die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“; die „Provokationen“, die gegen ihn im Umlauf seien, wolle er nicht kommentieren, gab den Museumsdirektor am 8. 2. die „Frankfurter Rundschau“ wieder, mit dem wörtlichen Zitat: „Absurdes Theater gehört auf die Bühne. In der Wissenschaft ist kein Platz dafür“. Die zum FR-Artikel gehörende Abbildung zeigt Lauers Portrait in einem Arrangement von Grimm-Büsten, dreimal Wilhelm und zweimal Jacob sind zu sehen, wobei Lauers Kopf in der Bildhöhe ungefähr da anfängt, wo die oberen Haarlocken der Brüder Grimm sich befinden, Lauer durch seine große Brille also souverän über die Brüder hinwegblickt – während nochmals beide Brüder im Profil seitwärts von einem Poster auf Augenhöhe zu Lauer hinüberschauen. Das Zitat Lauers über „absurdes Theater“, mit dem der Artikel schließt, und die Inszenierung auf dem Bild sind in der Zusammenschau in höchstem Maß kennzeichnend für das Auftreten Lauers im bisherigen Verlauf dieser Auseinandersetzung.

Es wäre zu wünschen, dass in der (wohl noch am Anfang befindlichen) Diskussion über Kasseler Grimm-Angelegenheiten auch Alternativen entwickelt werden, wobei die Liste der aufzuarbeitenden Missstände offenbar noch nicht zu Ende ist.

Dieser Beitrag wurde vom Forumsadministrator im Hinblick auf die 2008 / 2009 stattgefundene juristische Auseinandersetzung um Äußerungen zu Zugangsverhältnissen für die Wissenschaft im Grimm-Museum Kassel teilweise unlesbar gemacht.

milatosSO36, 11. Februar 2006
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„MilatosSO36“ ist für die präzise und faire Zusammenfassung der bisherigen Ereignisse zu danken. Ich fühle mich in meiner ursprünglichen Kritik an dem Grimm-Museum („Ein weiteres Gräberfeld in Kassel“) bestätigt und freue mich, wenigstens aus Berlin ein zustimmendes Signal zu erhalten. Leider halten sich die zuständigen Kasseler Kulturpolitiker nach wie vor bedeckt ! Wer das Forum der HNA konsultiert, wird feststellen, daß die durchsichtige Taktik des Stillschweigens vor der Kommunalwahl beim Bürger nicht mehr verfängt. Ein Blick auf die pathologischen politischen Verhältnisse erscheint mehr als notwendig. Die Partei des OB Hilgen (SPD) hofft „im Schlafwagen“ wieder die seit Jahren verlorengegangene Mehrheit wiederzuerlangen und hat Stillschweigen in allen strittigen Politikfeldern verordnet. Im konkreten Fall des Grimm-Museums kommt noch hinzu, daß sich der kundige Bürger fragt, warum eine windige Figur wie Dr.Lauer Jahre lang den Verantwortlichen eine Nase drehen konnte. Zur politischen Verantwortlichkeit der Berufung Lauers ist zu bemerken, daß er seine Postion dem damaligen OB Hans Eichel verdankt, der z.Zt. noch MdB des Wahlkreises ist. Lauer hat mit Geschick seinen Einfluß ausgebaut : in der Saufszene des Landkreises Kassels z.B. mit Hilfe des Landrates Schlitzberger und des Betreibers einer bekannten Brauerei, dessen Grimmkompetenz in der Verwandtschaft mit der Dorothea Viehmann begründet ist. Ein solcher Einfluß hat Folgen : Im Kulturamt sind seit Jahren die Eskapaden des Dr.Lauer bekannt – ohne daß es Abmahnungen oder auch nur vorsichtige Kritik gegeben hätte ! Zudem darf man nicht unterschätzen, welche Rolle die „Marke Grimm“ während der Kulturhauptstadtbewerbung gespielt hat. Zwei Jahre nach diesem Ereignis lesen sich die Bewerbungsunterlagen wie ein feinsinniges Zeugnis von Realsatire – Tenor : Posemuckel will Metropole spielen. Und unser Dr.Felix Krull durfte mundhurig mitspielen -nicht zuletzt hat der Expastor und jetzige Kulturdezernent Junge (CDU) davon politisch profitiert. Aber im Ernst : man stelle sich vor, Kassel wäre Kulturhauptstadt geworden und Dr. Lauer Zugriff auf Millionen von öffentlichen Mitteln eröffnet worden – die Quantität wäre wohl kaum in Qualität umgeschlagen. Ich stimme „milatos“ zu, daß der Fall mittlerweile eine Sache für die überregionale Presse ist. In ihm sind fatale Tendenzen unseres Kulturlebens aufweisbar, die über eine „Provinzposse Kassel“ weit hinausgehen. Außerdem haben Kasseler Politik und Presse nicht den Willen und die Kraft , die Probleme aus eigener Anstrengung heraus zu lösen. Was „milatos“ über das Verhalten Dr.Lauers gegenüber auswärtigen Forschern mitteilt ist ebenso skandalös wie es ins Psychogramm des Museumsdirektors paßt. Zu dem von Dr.Lauer bemühten „Absurden Theater“ ist zu sagen, daß Kassel seit der Entdeckung des sporadischen Aufenthalts Samuel Becketts sich als „Beckett – Stadt“ (sic !) sieht – ob Dr.Lauer schon ahnt, daß er sich im „Endspiel“ befindet ?


Rudolf Theisen, 12. Februar 2006

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„Initiativgruppe will Erneuerung“
Wie die „Hessisch-Niedersächsische Allgemeine“ in ihrer Online-Ausgabe unter http://www.hna.de/hessen_kassel/00Initiativgruppe_will_Erneuerung.html berichtet, hat sich in der Brüder Grimm-Gesellschaft Kassel eine Initiativgruppe gebildet, die auf einen neuen Vorstand und eine Reform der Gesellschaft hinarbeitet. In dem Artikel von Dirk Schwarze heisst es:

Mit der Wahl eines neuen Vorstandes soll am 6. Mai die seit November schwelende Krise der Brüder-Grimm-Gesellschaft beendet werden. Als neuer Vorsitzender wird, wie berichtet, Prof. Hans Brinckmann, der frühere Präsident der Universität Kassel, vorgeschlagen. Er hat sich auf Bitten von Oberbürgermeister Bertram Hilgen zur Kandidatur bereit erklärt und hat mit einer Initiativgruppe die Bemühungen zur Erneuerung der Gesellschaft eingeleitet.

In einem Brief an die Mitglieder der Gesellschaft werden die Konflikte, die zum Rücktritt mehrerer Vorstands- und Beiratsmitglieder führten, beschrieben. Der Initiativgruppe gehören unter anderem die Germanisten Prof. Claudia Brinker-von der Heyde, Holger Ehrhardt, Prof. Andreas Gardt (Kassel) und Prof. Hartmut Kugler an, die in verschiedenen Funktionen innerhalb der Grimm-Gesellschaft tätig waren.

Als eine der Hauptursachen für die Krise wird die „seit Jahren zunehmend schwierige Kooperation mit Dr. Bernhard Lauer“ genannt. Lauer habe, so lautet der Vorwurf, „seine Stellung als Geschäftsführer der Brüder-Grimm-Gesellschaft und als Leiter des Brüder-Grimm-Museums genutzt, den Zugang zu den Kasseler Grimm-Beständen von seiner individuellen und willkürlich erteilten Zustimmung“ abhängig zu machen. Die zum Teil heftigen Spannungen hätten die „inhaltliche Arbeit massiv“ xxxxxxxxx. So seien mehrere Kooperationen abgebrochen worden und neue Initiativen zum Thema Grimm außerhalb Kassels entstanden. …

Daher wird vorgeschlagen, die Leitung des Grimm-Museums und die Geschäftsführung der Brüder-Grimm-Gesellschaft zu trennen. … Die langfristigen Ziele sind: Zusammenarbeit der Brüder-Grimm-Gesellschaft mit anderen Grimm-Stätten und -Vereinigungen, intensivere Identifizierung mit der Region, Förderung des Museums, Profilierung als Grimm-Forschungsstelle und Gründung einer Akademie sowie Umstrukturierung aufgrund einer Satzungsänderung.

Zum offenen Konflikt war es im vorigen Jahr gekommen, nachdem Lauer als Museumsdirektor und Geschäftsführer der Gesellschaft angekündigt hatte, zusätzlich für das Amt des Vorsitzenden zu kandidieren und somit den bis dahin amtierenden Präsidenten Wolfgang Windfuhr abzulösen. Nachdem der Versuch gescheitert war, auf der Grundlage eines Kompromisses die Satzung zu ändern und den Vorstand unter der Führung von Windfuhr zu erweitern, waren Windfuhr und andere zurückgetreten. So bilden jetzt Dr. Lauer als Geschäftsführer und Schatzmeister Tampe den Restvorstand, den die beiden um Dr. Grothe aus dem Wissenschaftlichen Rat ergänzten.

(Zitat: Dirk Schwarze, Hessisch-Niedersächsische Allgemeine vom 16. 2. 2006)

Dieser Beitrag wurde vom Forumsadministrator im Hinblick auf die 2008 / 2009 stattgefundene juristische Auseinandersetzung um Äußerungen zu Zugangsverhältnissen für die Wissenschaft im Grimm-Museum Kassel teilweise unlesbar gemacht.


milatosSO36, 17. Februar 2006

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Gräberfeld Brüder Grimm-Museum Kassel
(Grimmforum, Anfang 2006)

Ein weiteres Gräberfeld: das Brüder Grimm-Museum Kassel

Für die Eröffnung des Grimmforums bin ich als Bewohner des Nordhessischen Raumes besonders dankbar, da es die Möglichkeit bietet, in freier und unverstellter Weise auch die Defizite der offiziellen Kasseler Grimm-Aktivitäten zu problematisieren. Leider dominieren in Kassel zwei Publikationsorgane die kulturelle Meinungsbildung : eine scheinbar unabhängige Provinzzeitung mittlerer Qualität (die „Hessisch Niedersächsische Allgemeine“), sowie ein halbpornographisches Anzeigenblättchen (der „Extra Tip“), der trotz seines fragwürdigen Niveaus in letzter Zeit von dem Direktor des Brüder Grimm-Museums Dr. Lauer gerne als Referenzorgan genutzt wird. Kritische Äußerungen über den Zustand und die Qualität seines Hauses werden zwar in kleinem Kreis häufig geäußert, eine offene Debatte findet jedoch weder in der Kasseler Publizistik noch in der Öffentlichkeit statt. Holger Erhardt hat auf diesen Seiten in einem etwas morbiden Beitrag über die Gräber!! der Familie Grimm eindringlich berichtet. Als Mitarbeiter des Grimm-Museums gelang ihm unbewußt und unfreiwillig komisch damit auch eine analoge Beschreibung seines Hauses.

Vor einigen Wochen hatte ich zum wiederholten Mal das zweifelhafte Vergnügen, Freunde von außerhalb durch das Museum begleiten zu dürfen. Diese – von Hause aus Literaturwissenschaftler und Linguisten und Kenner von Literaturmuseen nicht nur im deutschsprachigen Raum – waren verblüfft bis verärgert, ein Haus anzutreffen, das selbst bescheidenen Ansprüchen nur in Ansätzen genügt.

Nur einige wenige Stichworte :

Auf den ersten Blick erscheint das Haus wie eine von Laien eilig zusammengesuchte Sammlung disparater und nur selten singulärer Ausstellungsstücke. Gegen eine von Liebhabern unternommene Veranstaltung spricht hingegen die Lieblosigkeit, mit der im wesentlichen Flachware mit häufig wenig erhellenden Kommentarschildchen in Vitrinen drapiert wurde. Weite Teile des Grimmschen Werkes werden nur kurz angedeutet. Die Chance zum Beispiel, einen spröden Gegenstand wie die Indogermanistik in origineller Form im Kontext historischer wie gegenwärtiger Forschung zu präsentieren wird verschenkt. Der politische und gesellschaftliche Bezugsrahmen und die Beziehung zur Kasseler Zeitgeschichte verbleibt im Rahmen lexikonartigen Allerweltswissens. Einen gewissen skurrilen Wert kann die Präsentation der Grimm-Büsten beanspruchen, die in einer Arno-Brekerhaften Wucht eine Großmannssucht symbolisiert, die den Brüdern Grimm fremd war.

Insgesamt zielt das Haus auf eine Darstellung des Märchenwerks. Dies ist an sich nicht kritisierenswert, wäre dabei ein wenig mehr geistiger Anspruch und historisch-kritischer Sinn erkennbar. Das oberste Stockwerk soll in Ansätzen der Auseinandersetzung mit einer expliziten Märchentheorie gewidmet sein, leider ist dies wegen fehlender Information nicht leicht nachvollziehbar. Ein Versuch, Märchen und Märcheninterpretationen und die diesen zugrunde liegenden theoretischen Ansätzen für ein breiteres Publikum systematisch zu problematisieren erfolgt nicht. So vagiert das Zentrum der Ausstellung zwischen begriffsloser Banalität und einem schlecht getroffenen Touch Walt Disney. Insgesamt ist das Museum weniger ein Brüder Grimm-Museum, sondern ein Brüder Grimm-Märchenmuseum mit angehängten biographischen Versatzstücken.

Während unseres Aufenthalts wurden wir Zeuge des Besuchs einer japanischen Reisegruppe. Das Haus wird – nach städtischen Informationen – von ostasiatischen und amerikanischen Besuchern frequentiert, im Zeichen fortschreitender Merkantilisierung sicher ein Plus für die Stadt Kassel. Zu den papageienhaft nachgeplapperten Topoi – die auch von der Kasseler Provinzpresse kritiklos weitergereicht werden – gehören die Rede von der „Marke Grimm“ und dem „Mitspielen in der ersten Reihe der Literaturmuseen der Welt“. Wägt man diesen selbstgestellten Anspruch mit der traurigen Realität ab, so drängt sich im Blick auf die auswärtigen Besucher nur das Wort „Touristennepp“ auf.

Nach dem Ende der DDR wurden die dortigen Museen einer Evaluation unterzogen. Ich sehe die Problematik eines solchen Verfahrens und plädiere zunächst einmal für eine ehrliche und selbstkritische Bilanzierung des gegenwärtigen Zustandes in der kompetenten Öffentlichkeit. Diese Debatte kann aber nur von den an der Sache Interessierten ausgehen und muß endlich den von Kommunal- und Kulturpolitikern angeschlagenen Marketingjargon und das zunehmend nervtötende Kuturdummdeutsch hinter sich lassen.

Rudolf Theisen, 23. Januar 2006
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Sehr geehrter Herr Theisen,
zu Ihrem Beitrag möchte ich eine sachliche Korrektur anbringen. Ich bin nicht Mitarbeiter des Grimm-Museums.
Mit freundlichen Grüßen
Holger Ehrhardt

Holger Ehrhardt, 24. Januar 2006

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Beispiele für besser Gemachtes?

Die Beschreibung von Herrn Theisen ist anschaulich, allerdings auch ziemlich drastisch. Bis zu einem gewissen Grad ging es mir ähnlich, als ich das Museum vor knapp zwei Jahren das letzte Mal besucht habe.
Nur: ist das Grimm-Museum in Kassel nicht in einer schwierigen, allerdings auch chancenreichen Lage dadurch, daß es, soviel ich weiß, gerade erst seit recht kurzer Zeit das ganze Palais Bellevue gestalten kann? Ich nehme an, es hat sich in den letzten zwei Jahren doch sicher noch eine Menge getan?

Die Gestaltung musealer Ausstellungen zu literarischen Themen ist ja ohnehin komplizierter als etwa eine Ausstellung von Statuen oder Gemälden, weil das Geschriebene eigentlich meist zum Lesen am Tisch bestimmt ist, nicht zum Gebrauch in einer Ausstellung. Geschriebenes ist zunächst auch immer „Flachware“. Und kleingedruckt oder kleingeschrieben, nicht zum Betrachten auf Distanz gemacht.

Durch eigene Ausstellungserfahrungen weiß ich, daß es sehr gut ankommt, wenn dreidimensionale Alltagszeugnisse wie Schreibmaterialien, Möbelstücke, Textilien, Porzellan, Tafelsilber und ähnliches zur Verfügung stehen, weil sich mit ihrer Hilfe die literarischen und wissenschaftlichen Werke in ein Lebensganzes einbetten lassen und die aus dem Lebenszusammenhang der jeweiligen Persönlichkeiten erhaltengebliebenen Gegenstände zum Reden über die Entstehungsumstände des Werks gebracht werden können. Damit kann man fast jeden irgendwie ansprechen, und dieser Weg über den am konkreten Beispiel wiederbelebten Alltag ist wohl die bewährteste Auflösung des angedeuteten Dilemmas. Im Idealfall, den ich mehrfach erlebt habe, war über die Einführung in die Alltagsumgebung, aus der das Werk entstand, ein Interesse für wissenschaftliche Aspekte der Aussstellung geweckt, von denen der Besucher oder die Besucherin vorher nie gehört hatte.
Das Grimm-Museum in Kassel verfügt ja über mancherlei dergleichen; ob es schon ideal „ins Licht“ gesetzt ist?

Gibt es denn ein Literaturmuseum oder eine literarische Ausstellung, deren Konzepte vorbildlich für ein Projekt wie das des Grimm-Museums in Kassel sein würden? Es wäre gut gewesen, wenn Herr Theisen hierzu Beispiele genannt hätte. Denn neben alle verständliche und berechtigte Kritik sollten doch auch Vorschläge treten, wie es besser gemacht werden könnte. Das würde auch uns an der HU Berlin im Blick auf unsere bisherigen Ausstellungserfahrungen sehr interessieren!

Berthold Friemel, 24. Januar 2006

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Herr Friemel spricht zu Recht die besondere Problematik von Museen an, die mit „Flachware“, das heißt mit einer Fülle verschriftlicher Materialien zu arbeiten haben. Sein Hinweis, daß Alltagserzeugnisse es ermöglichen, den Lebenskontext zu repräsentieren und abstraktere Zusammenhänge zu stiften vermögen, korrespondiert mit einer von mir gepflegten Methode, als philologisch-literaturwissenschaftlicher Laie bei Museumsbesuchen triviale Fragen zu stellen und nach einer Antwort in der Ausstellung zu suchen. Im Falle des Brüder Grimm-Museums drängen sich etwa angesichts der Fülle des Briefmaterials Fragen nach den Kommunikationswegen der Zeit auf, nach den Kosten einer solchen Korrespondenz, den Preisen von Papier, Tinte etc. Nach der Organisation des Arbeitstages eines Gelehrten des 19.Jahrhunderts – die schlußendlich zur Frage führt, wie die Gelehrtenexistenz der Grimms für uns überhaupt noch nachvollziehbar ist. Ich erinnere mich an eine (Teil)Rekonstruktion des Berliner Arbeitszimmers in der Ausstellung zur Geschichte der Disziplinen der HU vor einigen Jahren – solch ein „historischer Raum“ wäre auch in Kassel realisierbar. Eine andere Erfahrung : Warum vertraut man nicht auf die Aussagekraft der Handschrift ? Zum Schubertjahr 1997 gelang es in Wien nur mit der Dokumentation der handschriftlichen Entwicklung ein Leben erfahrbar zu machen. Zugegebenermaßen befindet sich das Haus in einer gewissen Sonderposition zwischen literatur – und wissenschaftsgeschichtlicher Sammlung. Wenn es den Anspruch erhebt, Leben und Werk der Brüder zu dokumentieren muß die Proportionalität zwischen Märchen (Literatur) und Wissenschaft (Philologie, Lexikon) gewahrt bleiben. Dies geschieht hier leider nicht. Auch das Gebiet der Sprachforschung wäre weitaus eindringlicher gestaltbar. Es liegen über – ich habe die Zahl nicht genau im Kopf – 140 Übersetzungen der Märchen vor. Warum z.B. nicht Sprechproben einer bekannten Märchenanfangs in verschiedenen Sprachen dem Besucher zum Vergleich anbieten. So wäre zudem eine Brücke zur Indogermanistik zu schlagen und das vorhandene Interesse für die Verschiedenheiten und Verwandtschaften der Sprache in vertiefter Form zu wecken. (Warum auch nicht eine Kuriosität, die es in Form eines rekonstruierten „indogermanischen Märchens“ von – Frage an den Fachmann : August Schleicher ? – geben soll, dokumentieren, wie überhaupt noch lebendigeTraditionen des Märchenerzählens (Orient!) einbeziehen ?)
Dies nur wenige assoziativen Überlegungen – ein systematisches Weiterdenken, das ausgewiesene Kenner mitbeteiligen müßte!, dürfte bis in sprachpolitische und anthroploogische Gebiete führen, die mitnichten für eine breiteres Publikum uninteressant sind – vorausgesetzt, man betreibt das Unternehmen nicht als ein Einmannunternehmen, wie die Selbstdarstellung des Hauses dies nahe legt.
Was die angesprochenen Möglichkeiten durch die fast vollständige Gesamtnutzung des Schloß Bellevue betrifft, so fällt bei einem häufigeren Besuch des Museums auf, daß ein regelmäßigerer Wechsel durch bislang nicht gezeigtes Material aus dem Fundus nicht erfolgt. Zugenommen hat die Tendenz, weitere Bücher in Vitrinen zu präsentieren. Es stellt sich die Frage, wieviel aussagefähiges Ausstellungsgut eigentlich noch vorhanden ist. Die Frage sollte bitte nicht polemisch verstanden werden. Im Zuge der Planungen eines Neubaus wird von Seiten der Leitung des Hauses in der Öffentlichkeit laufend ein größerer Flächenbedarf geltend gemacht.
Ein Blick in den mittlerweile historisch gewordenen kleinen Katalog der frühen (Deneke) Jehre verweist auf eine zweite Proportionsverschiebung. Man konnte die kleine Sammlung als Gedenkstätte verstehen, die eine wesentlichere Aufgabe flankieren sollte : die Arbeit am Wort, d.h. an den Werken der Brüderpaares. Eine Arbeit, die seinerzeit als die vornehmste Aufgabe der Brüder Grimmgesellschaft definiert wurde. Vielleicht sollte man eine Kritik am Museum auch im Blick auf ein verschollengegangene Selbstverständnis der Grimmgesellschaft würdigen.
Der Versuchung, Lob und Tadel über vergleichbare Museen zu verteilen möchte ich mich entziehen – ich habe Häuser gesehen, die materiell noch schlechter ausgestattet waren, in manchen dieser Museen hätte man am professionellen Standard beckmessern können : was die Defizite vergessen ließ, war das erkennbare Herzblut und eine sachbezogene Leidenschaft für die Sache. Nennen Sie mich weiter polemisch : genau das letztere vermisse ich im Falle des Brüder Grimm-Museums.

Rudolf Theisen, 25. Januar 2006

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Rudolf Theisen schrieb: sowie ein halbpornographisches Anzeigenblättchen (der „Extra Tip“), der trotz seines fragwürdigen Niveaus in letzter Zeit von dem Direktor des Brüder Grimm-Museums Dr. Lauer gerne als Referenzorgan genutzt wird.

Sehr geehrter Herr Theisen,

das „halbpornographische Anzeigenblättchen“ unterschätzen Sie in seiner Wirkung aber gewaltig. Der Extra-Tip hat einen derartigen Verbreitungsgrad und ist dermaßen meinungsbildend, dass niemand sich erlauben kann, sich mit dessen Chef(redakteur) Klaus Becker zu überwerfen. Klaus Becker entscheidet Wahlausgänge – und die nächste Kommunalwahl steht vor der Tür. Herrn Brinkmann als designierten Nachfolger von Herrn Windfuhr hat er schon beschädigt, die Wissenschaftler der Uni Kassel auch. Und was passiert von anderer Seite – ein überaus leicht zu durchschauendes, politisch gewolltes Stillhalteabkommen. So bekommt man das BGM und die BGG bestimmt nicht auf neuen Kurs. Nicht zaudern – zupacken. Herr L. macht es vor.

http://194.25.86.242/extratip/FMPro?-DB=et-artikel.fp5&-format=artikelhoch.html&artikel.nummer=2677&-script=aktiv&-lay=www&-find

Jeanne d’Arc, 25. Januar 2006

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Wahrnehmungsstörungen
Jeanne d’Arc ist für den Link zur neuen Ausgabe des „Extra-Tip“ um so mehr zu danken, als der dort neu erschienene Beitrag über Dr. Lauer, den Direktor des Grimmuseums Kassel, auch einen höchst wunderlichen Bezug zu den in einem anderen Forumbeitrag ausführlich vorgestellten DWB-Handexemplaren in Krakau enthält. In der von Jeanne d’Arc verlinkten Onlinefassung des „Extra-Tip“-Artikels mit der Überschrift Intrigen gegen Dr. Lauer / Aktiver Chef des Grimm-Museums sollte in einer „konzertierten Aktion“ diffamiert werden heißt es zur, wie Klaus Becker formuliert, Entdeckung von Arbeitsheften der Brüder Grimm, für ihr epochales Werk „Das deutsche Wörterbuch“:

So ist wohl auch die Entdeckung der Arbeitshefte der Brüder Grimm, vor allem die Berichterstattung darüber, Teil jener Kampagne, die zur Zeit in gewissen Kreisen gegen den Museumsleiter Dr. Bernhard Lauer gefahren wird. In der sich besonders Wissenschaftler hervortun, die bisher noch nicht zum Thema Brüder Grimm publiziert haben.

Zu einem mit dem Beitrag publizierten Bild heißt es ferner (und, wenn man genau hinschaut, in kuriosem Widerspruch zur eben zitierten Behauptung):

Dr. Bernhard Lauer, Direktor des Brüder-Grimm-Museums in Kassel, hatte die Arbeitshefte der Brüder Grimm entdeckt.

Den Hergang der Sache kann man in dem Forumbeitrag von Professor Alan Kirkness (Auckland, Neuseeland) nachlesen, in dem er über die Krakauer Exemplare informiert hat (Grimm-Handexemplare des „Deutschen Wörterbuchs“, 16. Januar 2006).
Die Exemplare hat, wie durch diesen Beitrag von Kirkness und die darauf folgenden Medienberichte allgemein bekannt ist, die Jagiellonen-Bibliothek Krakau entdeckt, in nahem zeitlichem Bezug zu einer Rundfrage von Alan Kirkness bei verschiedenen polnischen Einrichtungen, in der er die Exemplare beschrieb und ihre Wichtigkeit hervorhob. Die Jagiellonen-Bibliothek hat Kirkness die Existenz der Exemplare auf seine Rundfrage hin Ende September mitgeteilt. Die Entdeckung erfolgte in der Tat damals, erst dann wurden die Exemplare zur Aufnahme in das Handschriftenmagazin vorgesehen und desinfiziert, bis sie der wissenschaftlichen Benutzung zugänglich gemacht werden konnten.

Die Reklamation in der Kasseler Zeitung „Extra-Tip“, Dr. Lauer in Kassel habe die Exemplare entdeckt, ist kaum begreiflich und zeugt zum mindesten von Wahrnehmungsstörungen, bei denen man sich fragen könnte, welche Gefahren eigentlich von ihnen ausgehen für alle wissenschaftlichen und musealen Bemühungen um die Brüder Grimm, für die seriöse Tradition des Brüder Grimm-Gedenkens in Kassel und insbesondere für die kostbaren Kasseler Grimm-Sammlungen.

Berthold Friemel, 29. Januar 2006

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Seltsames Verhalten
Liebe Forum-Teilnehmer,
ich weiß nicht, ob mein Beitrag zum obigen Thema paßt, nach diesen unglaublichen Vorgängen muß ich aber eine Begebenheit mitteilen, die mir eine Kasseler Kollegin kürzlich erzählte, als im „Extra Tip“ schon ein Artikel Dr. Lauer als großen Wissenschaftler und als Opfer der Politik darstellte.
(Vielleicht sollte den Artikel auch einmal jemand hier veröffentlichen).

Und zwar fand im Herbst des letzten Jahres in einer Kasseler Bank ein Unterhaltungsabend statt, den Dr. Lauer organisiert hatte. Dabei wurde ein von ihm verfaßtes Gespräch zwischen den Brüdern Grimm von Schauspielern vorgelesen. Das Gespräch endete damit, daß Jakob und Wilhelm Grimm nach Kassel reisten und den Teilnehmern dieses Abends mitteilten, daß sie ja eigentlich schon tot wären und daß es in Kassel aber einen gäbe, nämlich Dr. Lauer, der dafür sorgte, daß sie weiterlebten. Dieser Schluß hat viele Anwesende peinlich berührt, da klar war, wer der Autor dieses Stücks war.

Der jetzige Vorgang paßt sehr gut dazu. Wieder stellt Herr Dr. Lauer sich als Grimm-Forscher in den Vordergrund und es nimmt peinliche Formen an. Von seinen Forscherkollegen muß sein Verhalten als ein Schlag ins Gesicht empfunden werden.

Alexandra Marheineke, 29. Januar 2006
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Tabubruch
Die letzten Tage bin ich häufig auf die Diskussion über das Brüder Grimm – Museum angesprochen worden, die – nach der Infomation von Herrn Trautmann – nun auch in einem Forum der HNA eine Fortsetzung erfahren hat.
Die Resonanz war sehr groß, wobei der Tenor vorherrschte, daß es notwendig gewesen war, dies Thema endlich in die Öffentlichkeit zu tragen. Ja, es wurde sogar von einem „Tabubruch“ gesprochen. Ein pathetisches Wort, daß jedoch melancholisch stimmt, da offensichtlich eine jahrelang betriebene einseitig-positive Berichterstattung über das Haus jeden kritischen Einspruch schon im Ansatz ersticken ließ.
Mancherlei Zorn wurde auch geäußert, der sich – man muß es fairerweise sagen – nicht allein an Dr.Lauer entzündete, sondern auch an einer desolaten Kulturpolitik, die sich gerne in großmäuligen Absichten ergeht, aber zu feige ist, die aufgetretenen Probleme auch mit unangenehmen Maßnahmen zu lösen.
Daneben wurde allerdings an der bisherigen Auseinandersetzung kritisiert, daß zu sehr über Dr.Lauer und nicht mit ihm gesprochen wird.
In einem Bericht in der heutigen HNA (4.2.06) über das Berliner Grimmforum wird mitgeteilt, daß Herr Lauer das Niveau nicht als ihm adäquat betrachtet.
Auch wenn ich mich wiederholen sollte ist festzuhalten :
Sein publizistischer Büchsenspanner Becker vom Extra Tip verteidigt ihn mit absurden Verschwörungstheorien und glaubt, durch üble Nachrede (Fall Professor Brinkmann) und byzantinistische Heldenverehrung Herrn Dr.Lauer erfolgreich die Stange halten zu können.
Ist das ein adäquates Niveau ?
Warum ist der Leiter des Brüder Grimm-Museums nicht bereit, mit Grimminteressierten über neue Konzepte und Ziele einen Dialog zu führen ?
Warum nimmt Herr Dr.Lauer nicht die Gelegenheit wahr, in einer einem Wissenschaftler angemessenen Weise seine methodischen Konzepte und sein wissenschaftliches Selbstverständnis darzustellen ? Er hätte die Chance, mancherlei Dinge, die aus seiner Sicht wahrscheinlich nicht zutreffend sind, zu korrigieren und zu erläutern. Niemand wird sich dann einem sachlichen Dialog verweigern.
So ist zu befürchten, daß er sich weiter in die Position der verfolgenden Unschuld zurückzieht und das Geschäft durch einen geifernden Citizen Kane der nordhessischen Anzeigenbranche besorgen läßt.

P.S.
Morgen ist wieder Extra Tip Tag

Rudolf Theisen, Samstag, 4. Februar 2006

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Niveau

Aus einiger Distanz betrachtet, ergibt sich von diesen grimmigen Verwicklungen eigentlich ein recht deutliches Bild:

Wenn jemand ein Medium wie das Kasseler Anzeigenblättchen „Extra-Tip“ für seine Agitation in Dienst nimmt, dabei auch ganz getrost gelogen wird, Wissenschaftler angepöbelt werden und schlußendlich dann, wenn es zu öffentlichen Diskussionen und Nachfragen kommt, alles mit der Reaktion des Haupthelden unter den Teppich gekehrt wird, die Diskussionen und ihre Kreise und Foren seien „eine Schmutzkampagne“ und „unter seinem Niveau“, dann ist das auch eine eindeutige Antwort auf all die Kritik und die Nachfragen, und es braucht kaum eine andere mehr. Der Fall scheint jetzt ziemlich klar und, was das Niveau der Hauptperson betrifft, erledigt.
(Alte Gaunertricks, „Haltet den Dieb“ rufen und so.)


milatosSO36, 5. Februar 2006

Kategorien
Allgemein

Grimm-Handexemplare des „Deutschen Wörterbuchs“,
fälschliche Entdeckungs-Behauptung in Kassel
(Grimmforum, 2006)

Pressemitteilung

Arbeitsexemplare der Brüder Grimm in Krakau
Fälschliche Entdeckungs-Behauptung in Kassel

In der Kasseler Lokalpresse erschien am Wochenende eine Veröffentlichung, in der behauptet wird, die kürzlich durch zahlreiche Presseberichte bekanntgewordenen Handexemplare der Brüder Grimm von ihrem „Deutschen Wörterbuch“ seien vom Direktor des Kasseler Grimmuseums in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau entdeckt worden. Dies ist ebenso falsch wie die im selben Bericht enthaltene Behauptung, die Entdeckung und Bekanntmachung der neun Bände seien wohl Teil einer Kampagne, die zur Zeit gegen den Museumsleiter „gefahren“ werde. Letztere Behauptung steht zudem im Widerspruch zur ersteren, der Museumsdirektor selbst habe die Exemplare entdeckt.

Die verschollengeglaubten Bände wurden selbstverständlich von der Jagiellonen-Bibliothek in Krakau entdeckt, in der sich ehemals ins schlesische Grüssau ausgelagerte, aus der Preußischen Staatsbibliothek stammende Rara-Sammlungen befinden. Zu diesen gehören die Exemplare.

Die Entdeckung der Exemplare, unsere seitdem begonnenen Forschungen über sie und die Veröffentlichungen im Januar hatten weder mit der Stadt Kassel noch gar mit einer Kasseler Persönlichkeit etwas zu tun. Die Information gelangte vielmehr (wie berichtet) zunächst nach Berlin, als der neuseeländische Germanist Alan Kirkness während eines Forschungsaufenthalts an der Arbeitsstelle Grimm-Briefwechsel (Humboldt-Universität zu Berlin) die Quellenüberlieferung zum „Deutschen Wörterbuch“ im Zusammenhang mit einer Briefwechsel-Edition neu recherchierte. Die Nachricht aus Krakau traf Ende September ein. Mit einer öffentlichen Bekanntmachung haben wir gewartet, bis mit der Jagiellonen-Bibliothek Einigkeit über das weitere Vorgehen erzielt war. Diese informierte im November die Staatsbibliothek Berlin und im Dezember auch weitere sachlich zuständige Stellen. Darunter war die Brüder Grimm-Gesellschaft, die vor Weihnachten die Mitteilung aus Krakau ins Netz stellte. Im Januar schließlich berichteten deutsche und internationale Medien.

Inzwischen ist eine Partie der Exemplare genauer untersucht worden. Erste Ergebnisse werden in der nächsten Zeit im Internet unter www.grimmforum.de zugänglich gemacht.

Alan Kirkness (Auckland, Neuseeland)
Berthold Friemel (Berlin)
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Links zum Thema
Bericht von Klaus Becker, „Extra-Tip“ Kassel: http://194.25.86.242/extratip/FMPro?-DB=et-artikel.fp5&-format=artikelhoch.htm l&artikel.nummer=2677&-script=aktiv&-lay=www&-find

Beschreibungen der Krakauer Exemplare und weitere Hintergrund-Debatten sowie Kontaktmöglichkeiten zur Forschung: http.//www.grimmforum.de

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Bilder zur publizistischen Verwendung (Downloadmöglichkeit aus dem Grimmnetz)
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1: Zwei Seiten aus einem der in Krakau aufgefundenen Grimm-Bände mit Notizen Jacob Grimms. Der Verleger Salomon Hirzel in Leipzig ließ für die Brüder Grimm Exemplare mit besonders breitem Rand auf besserem Papier drucken, so daß sie die Möglichkeit hatten, ihre neuen Erkenntnisse mit Tinte und Gänsefeder nachzutragen.
(Bild: Biblioteka Jagiellonska, Kraków)
2: Titelseite und Porträt der Brüder Grimm aus dem ersten Band des “Deutschen Wörterbuchs” (1854). Das Wörterbuch war ihr letztes und umfangreichstes gemeinsames Werk. Mit dem Porträt, einem Stich aufgrund eines Photos, war Jacob Grimm unzufrieden. Er meinte, sein Bruder Wilhelm sehe aus wie ein Kranker und er selbst wie ein herbeigerufener Hausverwalter.
(Bild: B. Friemel)

Alan Kirkness, 31. Januar 2006
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Ein gewisses Niveau

Im „Extra Tip“ vom 1.1.2006 schreibt Klaus Becker den Artikel „Polit-Intrigen in Grimm-Gesellschaft“. Hier sind noch der Kasseler OB Bertram Hilgen und der frühere Uni-Präsident Hans Brinkmann die Intriganten.
Sie intrigieren gegen Dr. Bernhard Lauer, obwohl der sehr fleißig ist: „Fast 100 Publikationen aus seiner Feder sind in dieser Zeit (den letzten Jahren) zu den Grimms erschienen.“
Eine Kolumne später liest man etwas verwirrt:
„Unter seiner Verantwortung sind fast 100 Publikationen zum Thema Grimm erschienen, an denen zahlreiche Autoren beteiligt waren. Der Direktor des Brüder Grimm-Museums hat immer dafür gesorgt, möglichst viele andere Wissenschaftler mit einzubeziehen. Allerdings, daraus macht er keinen Hehl, verlangt er einen gewissen Einsatz und ein gewisses Niveau.“

Was haben Sie alle gegen den Dr. Lauer? Sicher keine 100 Publikationen.

Carl Bernstein, 31. Januar 2006

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Aus Hessen erhielt ich Nachricht über folgende von der Universität Kassel veröffentlichte Erklärung (auch erreichbar über die Website der Universität Kassel, http://php.uni-kassel.de/hrz/db4/extern/dbexpert/pressemitteilung/showPM.php?id=293).

Die Presseerklärung von Germanisten der Universität Kassel bezieht sich auf die hier im Forum veröffentlichte andere Erklärung (von Alan Kirkness und mir) zum Thema Fälschliche Entdeckungs-Behauptung in Kassel, und diese ihrerseits ja wiederum auf den Bericht eines Kasseler Periodikums, der am vorigen Wochenende überraschende Ansprüche und eine Verschwörungstheorie hinsichtlich der in Krakau befindlichen Handexemplare der Brüder Grimm von ihrem „Deutschen Wörterbuch“ unter das Kasseler Volk brachte.

Kasseler Germanisten schließen sich Presseerklärung gegen unwahre Behauptungen an

Kassel. Für die „Grimm-Sozietät zu Berlin“ war die Entdeckung von neun als verschollen geltenden Handexemplaren des „Deutschen Wörterbuchs“ von Jacob und Wilhelm Grimm in der Krakauer Jagiellonen-Bibliothek ein „sensationeller Fund“, wie u.a. der Deutschlandfunk am 18. Januar meldete. Entdecker der Texte ist die Krakauer Bibliothek, in engem zeitlichen Zusammenhang mit einer Forschungsinitiative des neuseeländischen Germanisten Alan Kirkness. Der Leiter des Kasseler Brüder-Grimm-Museums, Dr. Bernhard Lauer, hat nun für sich in Anspruch genommen, der eigentliche Entdecker der Texte zu sein. Alan Kirkness und Berthold Friemel von der Berliner Grimm-Sozietät haben dies in einer Presseerklärung mit Nachdruck zurückgewiesen.

Ihrer Stellungnahme schließen sich die Germanisten der Universität Kassel Prof. Dr. Claudia Brinker-von der Heyde, Holger Ehrhardt, Prof. Dr. Andreas Gardt sowie Prof. Dr. Hartmut Kugler (Universität Erlangen-Nürnberg) an. Die Universität Kassel ist als Institution Mitglied der Brüder-Grimm-Gesellschaft. Die Germanisten betonen, dass die erwähnte Behauptung unwahr ist und in unerhörter Weise die Verdienste derjenigen leugnet, die die Entdeckung tatsächlich gemacht haben. Mit einer solchen Aneignung fremder Leistungen bringe man Kassel als Ort wissenschaftlicher Arbeit in Verruf.

Auch erweist sich die Annahme, bei der Berichterstattung über den Fund handele es sich vermutlich um eine Kampagne gegen Herrn Dr. Lauer, als unsinnig, da sie bedeuten würde, dass sich alle, die über den Fund berichteten – die Krakauer Bibliothek, der neuseeländische Germanist, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung, die zahlreichen sonstigen deutschen und ausländischen Zeitungen und Sendeanstalten -, in einer internationalen Aktion zusammengefunden hätten, um der Person Dr. Lauers zu schaden.

Die Pressemitteilung von Alan Kirkness und Berthold Friemel ist abrufbar unter www.grimmforum.de sowie unter http://www.uni-kassel.de/.


Berthold Friemel, 3. Februar 2006

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Wie Till es sieht
Unter den zahlreichen Zeitungen, die im Januar über die schönen Funde in Krakau berichteten, war auch die FAZ, mit einem mehrspaltigen Bild aus Jacob Grimms Exemplar (am 19. Januar).
Der damals in dieser Zeitung berichtete, „Till“ (ein auf sympathische Weise eifriger und engagierter Reporter, er war es auch, der bei seiner Recherche-Anfrage aus Krakau die genauere Information erhielt, die Exemplare seien in einem anderen Bestand gefunden worden), dieser Till meldete sich dieser Tage wieder:

Er hat recht: Das Kasseler Blatt, in dem der seltsame und konfuse Artikel zu den Krakauer Grimm-Exemplaren vor einer Woche erschien, ist an sich keine besondere Aufmerksamkeit wert. Derlei kommt aus meinem Berliner Briefkasten meist ungelesen ins Altpapier. Ginge es nicht darum, die friedliche Weiterarbeit an den Büchern sicherzustellen, und ginge es nicht um einen höchst unfriedlichen Kasseler Kontext, der sich über das letzte halbe Jahr hinweg entsponnen hat und der alle Grimm-Interessierten etwas angeht — man hätte es auf sich beruhen lassen können. Beides zusammengenommen, war es aber doch besser, noch einmal ganz klar auszusprechen, wie es sich mit dieser Entdeckung verhält. So ist es geschehen, in Ruhe und wohl bedacht, gar nicht so zornig, eifrig und erbost wie Till meint — und schon gar nicht nach dem Motto „Berlin vs. Kassel“.

Die Reaktion auf die verwunderlichen Entdeckungs-Behauptungen, die Till in seinem neuen Beitrag zitiert, steht in den Forumtexten zu diesem Thema, da kann es jede/r selbst sehen. In das dank jahrelangem Moderdasein schon vom Schimmel befallene Schema eines Forschungskampfes zwischen Berlin und Kassel gehört dieses Thema mit seinen beiden Hauptaspekten nicht. Also weder die Entdeckung in Krakau noch der aktuelle Streit pro und contra Grimm-Reformen in Kassel, in den diese Entdeckung geschmackloserweise hineingezogen worden ist, lassen sich dem existierenden Klischee zweier verfeindeter Grimm-Bastionen in Kassel und Berlin sinnvoll zuordnen. „Kassel“ und „Berlin“ haben überhaupt nie als jeweils geschlossene Lager in der Grimm-Forschung existiert. Wer solch ein Lagerverständnis konstruiert und aufbauscht (und damit ist nicht Till gemeint), schadet der gemeinsamen Arbeit. Und schadet den Brüdern Grimm, um die es gehen sollte. Da hat Till auch wieder vollkommen recht.
(Die Pointe, die Till in diesem Zusammenhang bringt, hat er sich etwas leichtgemacht. Hätten wir geschrieben, die Krakauer Recherchen hätten mit keiner Kasseler Persönlichkeit außer den Brüdern Grimm etwas zu tun gehabt, dann hätten Reporter, wie wir sie kennen, dies doch wohl etwas pathetisch gefunden — etwa in der Art, wie jemand in einem anderen Beitrag zu diesem Forum vor einigen Tagen ‚im Namen der Brüder Grimm‘ auftrat. Und hätten wir geschrieben, das Krakauer Thema habe mit keiner lebenden Kasseler Person zu tun, so wäre dies bei der Presse doch wohl als sehr spitzfindig und noch pathetischer angekommen. Wie erst, wenn wir gesagt hätten, die Krakauer Handexemplare hätten mit den Brüdern Grimm nur in ihrer Eigenschaft als Berliner zu tun? 😉 Doch selbst das träfe zu.)

Lassen wir uns einfach von Tills Gelassenheit anstecken, und glauben wir für einen Moment daran, daß wir in diesen Angelegenheiten uns nicht mehr mühen müssen, weil der Herkules von seiner Pyramide steigt, die Wilhelmshöher Allee herabstampft und seinen antiken Großtaten eine moderne hinzufügt, indem er den ganzen „Mist“ im Turboverfahren aufräumt.

(Bildzitat / Faksimile: FAZ von Donnerstag, dem 2. Februar)


Berthold Friemel, 6. Februar 2006