Nachrichten aus Krakau, April 2006
(Wörterbuch-Handexemplare)
(Grimmforum, 30. April 2006)

Bei einem Besuch in der Jagiellonen-Bibliothek Krakau (am 25. und 26. April) haben wir die Möglichkeit gehabt, mit Angehörigen der Bibliothek über die Umstände zu sprechen, unter denen die neun Bände des DWB aus dem Besitz der Brüder Grimm dort entdeckt wurden. Die Mitarbeiter der Bibliothek, Frau Katarzyna Cieślik und Herr Piotr Kuliszewicz, berichteten uns, daß die Bände sich an verschiedenen Stellen der Bibliotheksmagazine befanden. Vor drei Jahren wurden Frau Cieślik und Herr Kuliszewicz bei der Bearbeitung von Beständen auf einen Band aufmerksam, der durch einen Hinweis auf die Brüder Grimm im Vorsatz, durch Notizen und durch das rote Signaturschild der Libri impressi cum notis manuscriptis auffiel. Als sie erkannt hatten, worum es sich handelt, suchten sie in den Magazinen nach anderen derartigen Bänden, bis die Exemplare 2005 komplett vorlagen. Sie wurden im Herbst 2005 der Handschriftenabteilung überwiesen, nachdem sie desinfiziert worden waren, wie es bei allen Beständen, die neu in die Handschriftenabteilung überführt werden, der Fall ist.

Die Bände sind in sehr gutem Zustand. Alle neun sind Halbleinenbände mit Titelschildern aus Papier auf dem Rücken, auf die jeweils die Inhaltsangaben geschrieben sind. Die Bände mit den Korrekturfahnen (Nr. 33 und 34) ließ offenbar noch Jacob Grimm anfertigen. Auf den Rückenschildern stehen von seiner Hand die Beschriftungen „A—C.“ und „D E.“, die später in der Königlichen Bibliothek um den Titel und die Verfassernamen ergänzt wurden. Die Schilder zu den sieben Bänden von Jacob Grimms Handexemplar (Nr. 35 bis 41) sind komplett in der Königlichen Bibliothek geschrieben. Hier gibt es keine Anhaltspunkte, daß die Bände bereits zur Lebenszeit Jacob Grimms so gebunden waren. Eher ist zu vermuten, daß die breitrandigen Bögen bis zu seinem Tod lose neben seinem Schreibtisch aufgestapelt waren und daß Herman Grimm sie binden ließ. Jacob Grimms Handexemplar ist ganz einheitlich gebunden; die beiden Bände 33 und 34 weichen deutlich davon ab und unterscheiden sich auch voneinander (durch verschiedenfarbiges Marmorpapier).

Die vollständige Sichtung der Bände bestätigt die Feststellungen, die schon anhand der Probescans getroffen wurden. Jacob Grimms Exemplar (35 bis 41) ist durchgehend mit Nachträgen annotiert; bis zu den letzten Artikeln (das Exemplar reicht bis FROMM) gibt es kaum Doppelseiten, die keine Annotationen enthalten. Die bisher als „Wilhelm Grimms Exemplar“ bezeichneten Bände (33 und 34) sind nun eindeutig als eine Sammlung der Korrekturbögen zu identifizieren, auf denen v. a. der Verleger Hirzel und der Korrektor Hildebrand den Brüdern Grimm während ihrer jeweiligen Arbeitsphasen am Wörterbuch Ergänzungsvorschläge und Anfragen übermittelten. Annotationen von Jacob und Wilhelm Grimm sind in diesen beiden Bänden selten. Diejenigen Korrekturen, die sie aus den Leipziger Notizen übernahmen, sowie ihre eigenen Korrekturen schrieben sie in ein weiteres Exemplar der Druckfahnen, das sie aus Leipzig erhalten hatten und mit ihren Entscheidungen zurückschickten. Auch hiervon ist manches erhalten, allerdings nicht in Krakau.

Wir danken Frau Anna Kozłowska, Frau Cieślik, Herrn Kuliszewicz und Herrn Bibliotheksdirektor Prof. Pietrzyk für ihre freundliche und sachkundige Betreuung während unseres Aufenthalts.
Alan Kirkness
Berthold Friemel


Berthold Friemel, 30. April 2006

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